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»Das Gefühl, hier zuhause zu sein«

Ziyad Farman floh 2014 aus dem Irak und fand in Deutschland eine neue Heimat. An der Humanwissenschaftlichen Fakultät studierte er Intermedia und wurde für seine herausragenden Leistungen und sein gesellschaftliches Engagement mit dem DAAD-Preis ausgezeichnet. Zudem betreibt er auch noch einen YouTube-Kanal, der inzwischen über drei Millionen Aufrufe zählt.

- Das Gespräch führte Jan Voelkel -

Ziyad Farman, Sie haben eine bewegte Fluchtgeschichte hinter sich. Warum mussten Sie Ihre Heimat verlassen?

Als der sogenannte Islamische Staat 2014 meine Heimatstadt Shingal angriff, mussten wir schnell fliehen. Wir wissen ja, wie es endete: mit einem Genozid an der ezidischen Gemeinschaft. Wir sind zuerst nach Kurdistan im Nordirak gegangen, wo ich fünf Monate gelebt habe. Dort habe ich aber keine Perspektive gesehen. Wir hatten in der Familie ein Auto. Das haben meine Eltern für mich verkauft, damit ich weiterkonnte. Das war sehr emotional. Ich war 20 Jahre alt und es war eine krasse Entscheidung, dass ich alleine gehe und die anderen zurücklasse. Ich bin dann in die Türkei gekommen, nach Bulgarien, Serbien, Ungarn, Österreich, Frankreich und schließlich nach Deutschland.

Wusste Ihre Familie während dieser Zeit, wie es Ihnen geht? Wie hält man auf der Flucht Kontakt?

Das war tatsächlich schwierig. Wir hatten ein oder maximal zwei Mal pro Woche Kontakt über einen Messenger. Meine Familie wusste, wo ich bin, viel mehr aber auch nicht. Dazu kam, dass ich auf der Flucht nicht immer Geld hatte, der Akku vom Handy leer war oder es keine Internetverbindung gab. Ich wusste also andersherum auch für Tage oder Wochen nicht, wie es meiner Familie geht.

Das sind Erfahrungen, die sich die meisten von uns kaum vorstellen können. Gab es Momente, an denen Sie dachten, dass es nicht mehr weitergeht?

Drei Monate lang war ich in der Türkei und habe immer wieder versucht, nach Bulgarien zu kommen. Das hat nicht geklappt und ich wurde an der Grenze mehrfach festgenommen und zurückgeschickt. Man hat uns dann immer alles weggenommen – Geld, Handy, alles. Ich musste bei Null anfangen. Nach ein paar gescheiterten Versuchen habe ich mit meinen Eltern telefoniert und gefragt, ob ich zurückkommen soll. Sie meinten, dass ich entscheiden soll, ob ich noch Kraft habe. Das war der Moment, in dem ich mir gesagt habe, dass ich es durchziehe. Mein Entschluss stand fest. Ich wollte es noch einmal probieren und mir war egal, was passieren würde. Dann hat es endlich geklappt und ich bin über die Grenze gekommen.

Kommt man nach solchen Strapazen zur Ruhe oder waren Sie direkt damit beschäftigt, wie es nun weitergeht?

Als ich endlich in Deutschland ankam, habe ich bereits nach zwei oder drei Tagen in der Flüchtlingsunterkunft begonnen, Deutsch zu lernen. Ich wollte mit den Menschen hier in Kontakt kommen, verstehen, wie sie ticken und leben. Meine Muttersprache Kurmanji ist eine kleine Sprache und wird nur in wenigen Teilen der Welt gesprochen. Deswegen habe ich gelernt, dass ich immer die Sprache der Menschen vor Ort lerne. Als wir nach Kurdistan gingen, haben wir Badini gelernt. Als wir nach Bagdad kamen, haben wir Arabisch gelernt. Und so war es auch in Deutschland. Außerdem war Sprache auch der Zugang zu Wissen und Informationen.

Das klingt, als wären Sie ein fokussierter Typ.

Ich denke, das kann man so sagen. Nach zehn Tagen in Bielefeld ist unsere Gruppe in eine andere Unterkunft nach Minden gekommen. Da mussten wir beim Ausländeramt einen neuen Ausweis beantragen. Als wir ihn nach zwei Monate abzuholen konnten, habe ich mit der Bearbeiterin Deutsch geredet. Sie war schon ziemlich überrascht. Die Sprache habe ich mir übrigens selbst über das Internet beigebracht, da ich offizielle Deutschkurse aufgrund meines Status nicht besuchen durfte.

Durch das Lernen übers Internet kam die Idee zum eigenen YouTube-Kanal. Gab es einen Moment, an dem Sie gemerkt haben, dass das Ganze ein großes Projekt werden kann?

Nachdem ich ein paar Videos gemacht hatte – zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen und Fragen, die die migrantische Community betreffen – kamen sehr viel positives Feedback und viele Kommentare. Das hat mich ermutigt. Ich habe gemerkt, dass ich Leuten helfen und etwas mitgeben kann. Ich hatte das Gefühl, dass es sich lohnt, die Arbeit in den Kanal zu stecken. Und wenn es einen guten Zeitpunkt gab, um meiner Gemeinschaft zu helfen, dann war es dieser. Auf der Flucht haben wir einander gebraucht, wir waren auf Hilfe angewiesen. Jetzt konnte ich etwas beitragen, also habe ich es gemacht. Ich fühlte mich in der Verantwortung.

Kam die Idee, an die Uni zu gehen und Intermedia zu studieren, durch die Erfahrungen mit den YouTube-Videos?

Ja, ich habe gemerkt, wie cool es ist, zu recherchieren und Informationen zu sammeln. Allerdings war für mich immer klar, dass ich gern studieren möchte. Aber der Start war kompliziert, weil ich erst mein Abitur anerkennen lassen musste. Das habe ich durch ein Studienkolleg gemacht und es hat fast zwei Jahre gedauert. Das Problem war, dass mein Abitur als fachgebundenes technisches Abitur anerkannt wurde. Intermedia ist aber ein geisteswissenschaftliches Fach. Deswegen musste ich noch ein Semester ‚International Plus‘ an der Uni belegen. Erst dann konnte ich loslegen.

Sie haben das Studium mittlerweile erfolgreich abgeschlossen und wurden vom DAAD für herausragende Leistungen ausgezeichnet. Nach dem Studienstart lief es wahrscheinlich besser?

Die Fachschaft und die Dozierenden haben mir das Gefühl gegeben, hier zuhause zu sein. Ich glaube, ich habe mich außer in meiner Heimat im Irak nirgendwo so wohl gefühlt wie an der Uni Köln. Wenn ich Fragen hatte und vor allem im ersten Semester nicht alles verstanden habe, konnte ich die Dozierenden und meine Kommilitonen immer fragen. Ich konnte auch überall mitmachen, bin zum Beispiel in die Fachschaft eingetreten, um meine Erfahrungen weiterzugeben und anderen zu helfen.

Sie haben während des Studiums schon für die Bildungsplattform GermanDream oder für Formate wie WDR For You gearbeitet. Nun konnten Sie ein journalistisches Volontariat beim ZDF ergattern, das vor zwei Monaten begonnen hat. Wie läuft’s bisher?

Das Volontariat läuft super. Die journalistische Arbeit ist genau mein Ding. Ich konnte super viele theoretische und praktische Erfahrungen sammeln. Der Input ist immer spannend, weil alles auf uns zugeschnitten ist. Wir lernen also nur Dinge, die jetzt oder später im Berufsleben relevant sind. Zum Beispiel haben wir gelernt, wie man Nachrichten schreibt, oder wie man gute journalistische Video-Beiträge macht. Um das Gelernte praktisch umzusetzen, haben wir Praxisphasen. Für den ersten Praxisteil komme ich nach Düsseldorf und arbeite von Januar bis Mitte April im Landesstudio.
Das finde ich alles sehr sehr interessant.


 

Hör-Tipp!

Für alle, die mehr über Ziyads Werdegang erfahren wollen: >> "Ich möchte was bewegen!" - in der 15. Folge unseres KölnAlumni-Podcasts "Hier sprechen: Kluge Köpfe!" spricht Ziyad Farman gemeinsam mit Nicolas Verhoeven über Heimat, Flucht und die besondere Macht der Integration. 

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