"Es ist wunderbar, an einem so wichtigen Ort für zeitgenössische Kunst zu arbeiten"
Die Kunsthistorikerin Rita Kersting ist weltweit mit Künstlern und Museen vernetzt. Vor einem Jahr ist sie an ihren einstigen Studienort Köln zurückgekehrt. Hier arbeitet die Expertin für zeitgenössische Kunst seit dem als stellvertretende Direktorin am Museum Ludwig. Ein Gespräch mit Sebastian Grote über den Alltag einer Kuratorin und die Kölner Kunstszene.
Frau Kersting, woran arbeiten Sie gerade?
Momentan organisiere ich die Übernahme der Ausstellung über Gabriele Münter, die das Lenbachhaus in München vorbereitet. Münter war eine Malerin des Expressionismus und Anfang des 20. Jahrhunderts eine zentrale Figur in der Künstlergruppe Der Blaue Reiter. In Köln hatte sie als beginnende Künstlerin ihre erste Einzelausstellung. Ihre Wiederentdeckung ist für Köln deshalb interessant, weil das Museum Ludwig eine starke Sammlung expressionistischer Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner, Franz Marc, August Macke und Paul Klee hat. Aber Münter fehlt. Wir möchten nun die Lücke schließen, und auch ein Bild von ihr erwerben. Darüber hinaus bin ich in viele Bereiche des Museums eingebunden, wie zum Beispiel Sammlungserweiterung, Ausstellungsplanung, Teambuilding, Public Relations, Besucherservice und Fundraising.
Sie haben Kunstgeschichte studiert. War Köln ein guter Ort dafür?
Als ich 1990 für mein Studium nach Köln kam, war die Stadt neben New York und Wien ein weltweit angesehenes Zentrum für zeitgenössische Kunst. An der Universität gab es mit Antje von Graevenitz außerdem eine Professorin, die Kunst fast bis in die Gegenwart in den Fokus genommen hat. Das hatte so gut wie nichts mehr mit herkömmlicher Malerei und Skulptur zu tun. Für mich war das sehr reizvoll, denn zeitgenössische Kunst ist eng mit der realen Lebenswelt und den Fragen der eigenen Zeit verbunden. Deswegen bin ich nach Köln gegangen. Antje von Graevenitz hat uns nicht nur viel im Hörsaal beigebracht, sie hat uns auch in die damals führenden Kölner Galerien oder zu privaten Sammlern mitgenommen. Das war eine unglaublich tolle Ausbildung, die ich genossen habe. Es war mir damals vielleicht noch gar nicht klar, wie wichtige Auswirkungen diese Zeit, die ich damals als Beobachterin erlebte, auf die westliche Kunstwelt haben sollte. Wenn man vor die Tür ging, spielte sich Kunstgeschichte ab, ohne dass man es merkte.
Gilt das heute immer noch?
Ja. Das Kunsthistorische Institut stellt auch heute sehr interessante akademische Fragen, beispielweise zur Globalisierung der Kunstwelt oder welchen Status die Fotografie heute hat. Gleichzeitig liegt es in einem sehr inspirierenden Umfeld. Dazu zähle ich etwa das Zentralarchiv für internationalen Kunsthandel. Es zeigt uns, dass künstlerische Karrieren nicht nur in Museen und Kunstvereinen stattfinden. So eine Einrichtung, die Dokumente des Kunsthandels sammelt, gibt es auf der ganzen Welt nicht noch einmal. Außerdem haben wir in Köln einen Kunstverein, der eine herausragende Arbeit macht, viele junge Galerien, eine einzigartige Kunst und Museumsbibliothek, viele Künstler und Sammler, die hier in der Stadt leben, und natürlich das Museum Ludwig. Es ist wunderbar, an einem so wichtigen Ort für zeitgenössische Kunst zu arbeiten.
Bevor Sie an das Museum Ludwig gekommen sind,waren sie vier Jahre am Israel Museum in Jerusalem. Was genau haben sie dort gemacht?
Ich war dort die Kuratorin für zeitgenössische Kunst. Das ist ein kleiner Bereich innerhalb des großen Museums gewesen, der aber eine enorme Bedeutung hatte. Es gibt weltweit sehr viele Sammler und Künstler, die das Museum unterstützen - von Hongkong, über Paris bis nach Los Angeles. Mit denen war ich in Kontakt und habe sie getroffen. Meine Hauptaufgabe war das Ankaufen von Kunstwerken, um die Sammlung des Museums weiterzuentwickeln. Dafür hatte ich ein Budget von ungefähr einer Million Dollar im Jahr.
Wie haben Sie es geschafft, sich ein so großes Netzwerk aufzubauen?
Zum einen gibt es die Marktplätze der Kunst, wie zum Beispiel Messen. Außerdem gehe ich zu vielen Biennalen, wo ich Künstler und Kuratoren, Händler und Galeristen, Sammler und Kritiker treffe, um mich mit ihnen auszutauschen. Wir sprechen dann über die Werke, die man vor Ort sieht, oder über neue Ideen, Entwicklungen und Visionen.
Was haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen?
Die westlichen Museen sind gerade in einem Umbruch. Sie hinterfragen ihre Geschichte und dabei vor allem, was sie in ihrer Geschichte ausgelassen haben. Wir denken darüber nach, wie wir unser Programm und das Museum so verändern können, dass wir uns unserer blinden Flecken bewusst werden. Dazu gehört es, nicht westliche Positionen mitzudenken. Gleichzeitig möchten wir die Ausstellung auch für diejenigen öffnen, die sonst nicht auf die Idee kommen, ins Museum zu gehen.
RITA KERSTING ist stellvertretende Direktorin am Museum Ludwig. An der Universität zu Köln hat sie von 1990 bis 1995 Kunstgeschichte studiert. Später leitete sie den Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf. Außerdem war sie vier Jahre am Israel Museum in Jerusalem als Kuratorin für zeitgenössische Kunst tätig. Sie ist im Aufsichtsrat des Stedelijk Museum Amsterdam und Fellow des International Curatorial Institute am Museum of Modern Art, New York.
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Text: Sebastian Grote für KölnAlumni. Erschienen im Kölner Universitätsmagazin, Ausgabe 12/2017.