»Politik sollte man nicht zum Broterwerb machen«
Der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma zeigte schon als Kind politischen Gestaltungswillen. Heute ist der Alumnus der Philosophischen Fakultät überzeugt, dass man nicht zu früh in die Politik gehen sollte.
Das Gespräch führte Eva Schissler (Unimagazin Ausgabe 2-2022)
Herr Dr. Schramma, Sie haben in den Sechziger- und Siebzigerjahren, zu Beginn der Studentenrevolte, in Köln Latein, Philosophie und Erziehungswissenschaften studiert. Wie haben Sie diese Zeit in Köln erlebt?
Da gab es so manche Szenen. Ich habe damals bei den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und gegen die Erhöhung der KVB-Preise mitgemacht, das war ein großes Thema unter Kölner Studierenden. Aber wenn ich auf Demos vorne die kommunistische Fahne gesehen habe, habe ich mir gedacht: Nein, unter der Fahne marschierst du nicht mit. Wir haben hier ein anderes Anliegen, nämlich die Bezahlbarkeit des Nahverkehrs.
Die KVB hatte 1966 erst die Preise für Schüler- und Studententickets drastisch erhöht und dann eine Umfrage unter den Fahrgästen zu den Ticketpreisen gemacht. Allerdings frecherweise in den Semesterferien, als überhaupt keine Studierenden auf der Strecke unterwegs waren. Das hätte ich ihnen später als Oberbürgermeister natürlich auf den Tisch knallen können (lacht).
Was verbinden Sie sonst noch mit Ihrem Studium?
Mit meiner Fächerkombination war für mich das Institut für Altertumskunde eine wichtige Anlaufstelle. Das hatte damals so etwas Verstaubtes, da saßen Leute hinter meterhohen Bücherstapeln, man konnte sie gar nicht sehen. Das Studium Generale hat mich immer sehr interessiert, ich konnte neben meinen drei Fächern auch bei den Sozialwissenschaften und der Theologie reinschnuppern.
Außerdem habe ich 1969 – noch während des Studiums – bereits geheiratet und im gleichen Jahr kam auch schon unser Sohn Stephan zur Welt. Zwei Jahre später wurde unsere Tochter Claudia geboren, so etwa gegen Ende meiner Studienzeit. Zur Hochzeit habe ich sehr nette persönliche Briefe bekommen, zum Beispiel von Professor Merkel, meinem damaligen Lateinprofessor. Diese Briefe habe ich bis heute aufgehoben, sie liegen noch bei mir in einer Kiste.
Sind Sie der Kölner Uni auch in späteren Jahren verbunden geblieben?
Ja, einerseits durch das Jurastudium meines Sohnes zwanzig Jahre später. Andererseits habe ich als Oberbürgermeister natürlich immer gerne den Kontakt zur Uni gehalten. Zum Beispiel war ich zusammen mit Rektor Axel Freimuth auf mehreren Auslandsreisen. Wir haben in China und in Indien um Kooperationsabkommen geworben. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und am Ende meiner Amtszeit wurde ich sogar Ehrensenator der Universität, was ja eine seltene Auszeichnung ist.
Kamen Sie eher durch Zufall zur Politik oder war das schon immer Ihr Traum?
Ich war schon mit 21 Jahren Gemeinderatsvorsitzender in der Kirche und habe in einer sehr aktiven Pfarrgemeinde Verantwortung übernommen, im Kirchenvorstand und in Bürgervereinen. Als ich dann 1989 die Gelegenheit bekam, für den Stadtrat zu kandidieren, habe ich das gemacht, denn mir war klar, dass ich nur so wichtige Entscheidungen treffen kann. 1999 wurde ich dann Bürgermeister, und 2000 Oberbürgermeister.
Alte Kindergarten- und Schulfreunde haben mich jedoch auf etwas Interessantes hingewiesen. Wir waren damals auf Urlaubsverschickung in irgend so einem Wald hinter Köln. Das war ein günstiges Angebot in den Sommerferien für kinderreiche Familien. Wir waren immerhin zu viert zuhause. Sie haben mir erzählt, dass ich damals schon in diesem von Kindern errichteten Dorf den Bürgermeister gemacht habe – was ich gar nicht mehr wusste! Also war es vielleicht doch schon immer ein Traum.
Heutzutage ist das politische Klima rauer geworden und besonders Lokalpolitiker und -politikerinnen werden vermehrt angegriffen. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wurde fast ermordet. Was ging damals in Ihnen vor?
Ich habe sehr für Frau Reker geworben und an dem Morgen wollte ich noch los zu ihrem Wahlkampfstand. Da kam die Meldung des Angriffs durchs Radio und mir sind die Tränen gekommen. Ich konnte es nicht fassen. Der Täter hatte ja einen rechtsradikalen Hintergrund und wollte gegen die liberale Flüchtlingspolitik demonstrieren. Da wäre er genauso mit mir aneinandergeraten, wenn ich noch im Amt gewesen wäre. Ich hätte auch das Opfer sein können.
Drohungen gab es schon zu meiner Zeit. Bei mir stand damals auch mal jemand mit der Flinte im Büro. Man muss damit sehr vorsichtig umgehen, das wussten damals neben der Staatsanwaltschaft nur wenige Leute. Wenn man es publik macht, kann es einen Nachahmeffekt haben. Insgesamt ist das Klima jedoch sicherlich noch einmal rauer geworden.
Ihr Verhältnis zu Ihrer Partei, der CDU, ist seit einigen Jahren eher ambivalent. Was muss diese Partei tun, um sich zu erneuern und auch für jüngere Menschen attraktiver zu werden?
Das ist im Moment ein wichtiges Thema für mich, das mich tagtäglich beschäftigt, auch wenn ich, so Gott will, dieses Jahr 75 werde. Mit jungen Menschen muss man offen und transparent diskutieren. Dabei darf man aus seinem Erfahrungsschatz schöpfen, aber nicht oberlehrerhaft von oben herab sprechen. Wir haben in der CDU in Nordrhein-Westfalen eine Reihe talentierter junger Leute. Allerdings ist ein junges Alter an sich keine Qualifikation. Ich halte auch nichts davon, dass ein Mensch nach dem Schulabschluss direkt Berufspolitiker wird. Eine gewisse Lebenserfahrung und Erfahrungen aus dem Berufsleben sind wichtig. Politik sollte man nicht zum Broterwerb machen, als lebenslange berufliche Aufgabe, über die man nur sein Geld verdient. Manche gehen so in die Politik, aber ich halte das für den verkehrten Ansatz.
Was sehen Sie für Köln als größte Zukunftsherausforderung?
Bezahlbaren Wohnraum. Dabei denke ich auch an die Studierenden. Hier muss die Stadt dringend ein sozialverträgliches Mietangebot schaffen. Köln als Hochschulstandort hat insgesamt an die 80.000 Studierenden. Fast ein Zehntel der Bevölkerung. Die können nicht alle Hotel Mama machen. Auch eine gute Mischung an Verkehrsangeboten und ein sauberes und sicheres Stadtgebiet sind wichtige Themen.
Sind Sie froh, dass Sie diese Herausforderung nicht mehr selbst angehen müssen oder juckt es Ihnen doch manchmal noch in den Fingern?
Ich habe auch heute noch viele Ehrenämter, die mich völlig ausfüllen. Außerdem bekomme ich noch immer Mails von Kölner Bürgern mit irgendwelchen Anliegen. Denen muss ich dann immer erst mal erklären, dass ich seit 13 Jahren nicht mehr im Amt bin. Ich bin froh, wenn sich der Raum meiner Freizeit langsam ein bisschen ausdehnt und ich ihn mit Lesen, Musik hören und Gartenarbeit füllen kann. Und natürlich damit, Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden zu verbringen. Aber es ist nach wie vor schön, ein Netzwerk zu haben, mit dem man Menschen helfen kann. Wenn man einmal Kölner Oberbürgermeister war, dann bleibt man das sein Leben lang.
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