"Ein Unternehmen muss am Ende Menschen zugutekommen."
In grünen Großbuchstaben prangt der Schriftzug über Läden in fast jeder deutschen Innenstadt: DEICHMANN. Hier gibt es eine große Auswahl an Schuhen zu niedrigen Preisen. Im Interview erklärt Köln-Alumnus Heinrich Otto Deichmann, der Enkel des Firmengründers, warum niedrige Preise und soziale Verantwortung kein Widerspruch sein müssen.
Herr Deichmann, Sie haben an der Uni Köln Betriebswirtschaftslehre studiert, aber auch Theologie und Geschichte gehört. Eine ungewöhnliche Kombination?
Im Sinne eines Studium Generale habe ich die Vorlesungen besucht. Ich habe das sehr zu schätzen gewusst, dass die Kölner Universität nicht nur im Fach Betriebswirtschaftslehre, sondern auch in den Geisteswissenschaften über hervorragende Professoren verfügt.
Was sind denn besonders angenehme oder unangenehme Erinnerungen an Ihre Kölner Studienzeit?
Wir hatten das Glück in der Volkswirtschaftslehre den damaligen Sachverständigenratsvorsitzenden Hans Karl Schneider hören zu dürfen. Er hat regelmäßig Anekdoten aus dem Sachverständigenrat, vor allen Dingen aus dem Zusammentreffen mit Helmut Kohl, erzählt. Das fanden wir Studenten natürlich damals toll, dass man einen direkten Einblick in die Herausforderungen und Schwierigkeiten der Politikberatung bekommt und so hautnah an der deutschen Wirtschaftspolitik war. Nicht so schön war, dass vor allem im Fach BWL im Grundstudium die Studentenzahlen einfach sehr hoch waren. Gerade in den ersten Semestern hat man teilweise mit 1.000 Studierenden im Hörsaal – oder besser auf der Treppe – gesessen. Zu den angenehmsten Erinnerungen gehört natürlich, dass ich meine Frau an der Kölner Uni kennengelernt habe. Sie hatte auch BWL studiert.
Das klingt nach besten Erinnerungen an die Universität. Haben Sie heute Kontakt zu anderen Hochschulen?
Ich freue mich generell über Austausch mit der Wissenschaft, weil es mir Freude macht. Nicht nur bei wirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftlichen Fragen. Aber durch meine Verpflichtungen in der Firma und in unserem Hilfswerk kann ich da nicht so viel Zeit für aufbringen wie ich vielleicht gern möchte.
Zu den anderen Themen gehören natürlich Schuhe. Wie viele Paar Schuhe braucht Mann oder Frau?
Es ist immer gut, wenn Frau und Mann mehrere Schuhe zur Auswahl haben, denn dann halten die Schuhe, die man hat, länger. Aber der Schuh ist natürlich ein Mittel, um sich auszudrücken, um seine Persönlichkeit auszudrücken, um seine ästhetischen Vorstellungen auszudrücken. Ich glaube, jeder sollte zehn verschiedene Schuhmodelle zur Verfügung haben.
Mein Eindruck ist, dass für Männer die Auswahl an modischen Schuhen immer noch begrenzter ist als bei Frauen. Es dominieren die Farben braun, schwarz und dunkelblau. Sind wir Männer so konservativ?
Sagen wir mal so, in Deutschland haben die Männer sicher länger gebraucht als die Frauen, den Reiz der Mode zu entdecken. Aber ich denke, heute ist auch bei den deutschen Männern – auch dank des Internets – angekommen, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt. Früher hat man ja zu dunklen Anzügen immer nur schwarz angezogen, aber mittlerweile ist das vielfältiger. Heute geht es ja schon so weit, dass diese »Casualisierung« oder »Sneakerisierung« der Mode weitere Kreise zieht. Einige junge Leute tragen Sneaker zu Anzügen. Ich nehme schon wahr, dass der deutsche Mann modebewusster geworden ist, dass er da etwas mehr Interesse und Kompetenz entwickelt hat. Rote Schuhe haben beispielsweise einen neuen Stellenwert bekommen. Es gibt die ganze Palette der verschiedenen Sneaker, Stiefeletten für Herren, Chelseatypen sind sehr beliebt, nicht nur bei Markus Lanz, der in seinen Talkshows immer Stiefeletten anhat. Es tut sich was am Herren-Schuhhimmel.
Würden Sie sich trauen zu einem Anzug ein Paar Sneaker zu tragen oder finden Sie, das geht gar nicht?
Das kann gut aussehen. Ich persönlich finde es für mich mit meinen 56 Jahren nicht so ganz den richtigen Style. Auch wenn man ein bisschen fülliger ist, sieht es vielleicht nicht so gut aus, weil die Sneaker etwas plumper sind als elegante Herrenschuhe.
Deichmann verkauft weltweit Schuhe. Gibt es Märkte, die besonders herausfordernd oder ungewöhnlich sind?
Wir sind ja in Europa, den USA und der Türkei mit eigenen Läden tätig. Innerhalb von Europa haben die Engländer schon einige Vorlieben, die wir in Deutschland gar nicht kennen. Sie tragen zum Beispiel offene Schuhe, Sandaletten, viel viel länger als wir das gewohnt sind. Offensichtlich ist für die immer noch Sommer, wenn es schon kühler geworden ist oder in Strömen regnet. Dann gibt es dort noch das Thema der Schuluniform: Es gibt ganz spezielle Schuhe für Kinder und Jugendliche in schwarz. In den USA spielen die Marken, vor allem Sportmarken, noch eine viel größere Rolle als hier. Die Hälfte aller Schuhe, die wir in den USA verkaufen, stammen von Marken wie Nike oder Adidas. In der Türkei ist im Moment die Lage schwierig, weil es uns aufgrund von Importzöllen und aufgrund der sehr stark gefallenen türkischen Lira immer teurer wird, Schuhe dorthin zu exportieren. Deswegen sind wir stark darauf angewiesen, im Land zu kaufen. Das ist schwierig, denn unsere Stärke ist das weltweite Sortiment.
Ganz häufig ist es ja so, dass günstige Produktpreise mit mehr oder weniger prekären Arbeitsbedingungen einhergehen. Dem Unternehmen Deichmann geht der Ruf voraus, dass sie das anders machen – bei knapp 40.000 Mitarbeitern. Wie funktioniert das?
Mein Großvater, mein Vater und ich waren und sind überzeugte Christen und leben unseren christlichen Glauben auch als Unternehmer. Ein Unternehmen muss demnach noch einen tieferen Sinn haben als Umsatz und Gewinn zu machen. Ein Unternehmen muss am Ende Menschen zu Gute kommen. Es ist uns wichtig, dass wir dem Kunden ein ordentliches mittlerweile auch sehr modisches Sortiment aber eben zum bestmöglichen Preis anbieten, so dass sich jeder unser Produkt leisten kann. Mein Großvater, der in Essen-Borbeck einen kleinen Schuhmacherladen gegründet hatte und Schuhe verkaufte, wollte, dass seine Kunden, die hier aus der Region kamen, in Kohle und Stahl beheimatet waren und nicht über hohe Einkommen verfügten, sich die Schuhe in guter Qualität leisten konnten. Der zweite Grundsatz ist, dass das Unternehmen dem Mitarbeiter und der Mitarbeiterin dienen muss. Sie sind nicht nur Kostenfaktoren, nicht nur Rädchen im Getriebe, sondern Menschen. Das hat auch einen materiellen Aspekt in Form von außertariflichen Zusatzleistungen, wie zum Beispiel einer zusätzlichen Betriebsrente, die wir Mitarbeitern zahlen, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Jahren dabei waren. Wir haben eine Unterstützungskasse, die bei Notfällen von Mitarbeitern hilft, sei es Unfall, Krankheit oder Naturkatastrophe, sei es eine Gesundheitswoche, die wir für den Mitarbeiter bezahlen und etliches mehr.
Gilt das auch für die Zulieferer?
Wir haben auch die Beschäftigten unserer Geschäftspartner und Schuhlieferanten im Blick. Wir haben vor vielen Jahren einen Code of Conduct definiert, der die sozialen und ökologischen Bedingungen der Produktion festlegt. Dieser Code of Conduct richtet sich nach den Standards der International Labour Organisation, das ist eine UNO-Organisation. Uns ist wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zulieferer, etwa in Asien, anständig behandelt werden und dass grundlegende Umweltbedingungen eingehalten werden. Diesen Code of Conduct lassen wir regelmäßig von unabhängigen Instituten prüfen. Wir beobachten, dass die Fabriken, die für uns arbeiten, einen deutlichen besseren Standard haben, als die rein inländischen Produzenten. Das hilft letztlich auch, die Standards im Land zu verbessern.
Das hört ein bisschen wie die Quadratur des Kreises an. Dafür Sorge tragen, dass vernünftig produziert wird, Beschäftigte ordentlich behandelt werden und den Kunden mit günstigen Produkten beglücken. Wie geht das?
Wir sind aufgrund unserer Größe in der Lage, enorme Einkaufpreisvorteile zu erzielen. Wir verkaufen im Jahr knapp 180 Millionen Paar Schuhe, wir sind mit Abstand der größte Schuhhändler in Europa und wir haben natürlich über die Zeit unser Geschäftsmodell sehr stark innoviert. Wir haben 1999 angefangen unsere Beschaffung zu vertikalisieren, das heißt wir kaufen nicht mehr fertige Produkte von der Stange, sondern wir arbeiten mit Designern und Technikern zusammen, die unsere Produkte entwickeln. Wir übernehmen damit eine Stufe der Wertschöpfungskette selbst, das schafft enorme Einkaufspreisvorteile. Auch die Logistik haben wir selbst organisiert: Wir verhandeln unsere eigenen Frachtraten und erzielen dadurch enorme Logistikkostenvorteile. Dazu kommt: Wenn man seine Mitarbeiter anständig behandelt und bezahlt, dann wirkt sich das auch auf die Qualität des Produkts aus.
Sie sind einer der wenigen deutschen Manager, die in der Flüchtlingsfrage früh klar Stellung gegen rechts bezogen haben. Gab es deswegen Anfeindungen?
Anfeindungen zu diesem Thema habe ich bisher nicht erlebt. Ich habe mich bemüht dieses Thema immer differenziert anzusprechen. Wir haben als Deutsche und Europäer eine Verantwortung für Menschen, die politisch verfolgt oder persönlich bedroht werden – auch weil es uns besser geht als vielen anderen in der Welt. Das ist meine feste Überzeugung. Aber gleichzeitig können wir nicht alle Flüchtlinge aus der ganzen Welt bei uns aufnehmen, das würde unser Gemeinwesen sprengen. Es muss auch unsere Aufgabe sein, zu versuchen in den Ländern aus denen diese Menschen kommen, die Bedingungen so zu verbessern, dass sie dort eine Perspektive finden.
Ist das einer der Gründe, weshalb Deichmann viele soziale Projekte in Indien, Moldawien oder Tansania, aber auch in Deutschland unterstützt?
Wir fühlen uns verantwortlich mit einem Teil dessen, was wir verdienen, Menschen nachhaltig zu helfen. Es sind rund 250.000 Menschen, die von unseren Hilfen profitieren. Ein großer Schwerpunkt ist Bildung. Wir unterstützen allein in Indien über 20.000 Kinder, die Schulen unseres örtlichen Projektpartners besuchen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die medizinische Versorgung, deshalb finanzieren wir Krankenhäuser und fördern Berufsausbildung, Kinderheime, Altenheime. Ein großer Schwerpunkt unserer Hilfe ist Indien, ein zweiter Tansania und dann Moldawien, Griechenland. Aber natürlich helfen wir auch in Deutschland in sozialen Brennpunkten wie in Dortmund und Duisburg und aktuell auch in Berlin.
Das Interview führte Jürgen Rees.
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