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Dr. Nikolaos Gazeas ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Namenspartner der Kanzlei GAZEAS NEPOMUCK sowie Lehrbeauftragter der Universität zu Köln. Der Alumnus der Rechtswissenschaftlichen Fakultät vertritt viele prominente Mandant:innen. Auch den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny.

Das Gespräch führte Jan Voelkel (Unimagazin Ausgabe 3-2022)

Herr Gazeas, Sie haben viele bekannte Mandant*innen und sind daher immer wieder in den Medien präsent. Wie wichtig ist Öffentlichkeit für Ihre Arbeit?

Wenn es um meine eigenen Mandanten geht, versuchen wir Medienöffentlichkeit meistens zu vermeiden. Denn in der Regel freut sich niemand, wenn er unser Mandant wird. Als Strafrechtler sind wir ein Stück weit die Urologen des Rechts. Man spricht nicht so gerne darüber, dass man einen braucht und warum man zu ihm geht. Mandanten kommen in den allermeisten Fällen mit einem existentiellen Problem zu uns. Oder sie haben ein Problem, das existentiell werden kann.

Gerade bei Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die außerstrafrechtlichen Folgen oftmals wesentlich gravierender als die Konsequenzen, die im Strafverfahren drohen. Man hört oft von einem Prominentenbonus, aber bei Strafverfahren gibt es eher einen Prominentenmalus. Wenn Lieschen Müller wegen einer Trunkenheitsfahrt erwischt wird, schreibt keine Zeitung darüber. Ist es aber eine Ministerin oder ein Minister, sieht das anders aus. Daher ist bei uns Strafrechtlern bei jedem Mandat eines der obersten Ziele Diskretion; dass am besten überhaupt nicht bekannt wird, dass ein Strafverfahren läuft. Besonders, wenn der Mandant eine Person des öffentlichen Lebens ist. Meine erfolgreichsten Mandate sind die, von denen in der Öffentlichkeit und Presse keiner etwas mitbekommen hat.

Sie sind der deutsche Anwalt des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, der einem Giftanschlag zum Opfer fiel und der aktuell in Russland in Haft ist. Ist in diesem Fall die Öffentlichkeit eine Möglichkeit, Druck aufzubauen?

Ja, das ist sie, und sie ist noch mehr. Bei Alexej Nawalny hatte ich ursprünglich ein rechtshilferechtliches Mandat, nachdem er aufgrund seiner Vergiftung in der Berliner Charité lag. Damals hat Russland mehrere Rechtshilfeersuchen an Deutschland gerichtet, eines davon bereits im August 2020 direkt nach dem Giftanschlag. Da diese Rechtshilfeersuchen auch Herrn Nawalny persönlich betrafen und er zu einzelnen Punkten förmlich angehört werden musste, hat er sich in der ihm unbekannten deutschen Rechtsordnung anwaltlichen Beistand genommen.

Aus diesem Mandat ist nach seiner Rückkehr nach Russland und seiner Festnahme gleich nach der Landung leider ein menschenrechtliches geworden. Teil meiner Arbeit ist es nun tatsächlich, Öffentlichkeit zu schaffen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für das Schicksal Nawalnys und das, was das Unrechtsregime in Russland mit ihm macht, aufrecht zu erhalten. Denn gerade in diesem Fall ist die Öffentlichkeit eine Art Lebensversicherung für Herrn Nawalny. Meine Aufgaben bestehen etwa darin, an die Bundesregierung oder überstaatliche Organisationen wie die UN heranzutreten, damit die Forderung nach seiner Freilassung immer wieder gegenüber der russischen Staatsführung zur Sprache gebracht wird. Das sind Dinge, die auf höchster politischer und diplomatischer Ebene dann geschehen.

Nun herrschen in Bezug auf Russland seit dem Ukrainekrieg gänzlich andere Bedingungen als zu Beginn Ihres Mandats. Inwiefern ändert dies Ihre Arbeit?

Seit dem 24. Februar ist es leider gravierend schwieriger und komplexer geworden. Alles, was man vor dem Beginn des Krieges an Druckmitteln hatte – dass etwa die USA und Europa geschlossen mit Sanktionen drohen, falls meinem Mandanten etwas geschehen sollte –, ist von der einen zur anderen Sekunde weggefallen. Denn nun existieren die Sanktionen ohnehin – aus sehr berechtigtem Grund. Es gibt wenig, womit man Putin noch zusätzlich drohen könnte.

Ist es auch für Sie als erfahrener Anwalt manchmal schwer vorherzusagen, wie sich ein Mandat entwickeln wird?

In meiner Kerntätigkeit als Verteidiger in Strafsachen besteht die Kunst darin, ein Verfahren von Beginn an gut zu steuern und die Entwicklung eben nicht dem Zufall zu überlassen. Das ist wie bei einem Schachspiel, bei dem man auch die Züge der Gegenseite vorhersehen muss – nicht nur den ersten, sondern auch die weiteren – um das eigene Handeln entsprechend darauf auszurichten. Das Mandat Nawalny ist in dieser Hinsicht sicherlich besonders, denn wir haben es auf der Gegenseite mit einem Willkürstaat zu tun, der zum Teil kaum berechenbar handelt.

Mir ist da etwa eine Situation in Erinnerung: Herr Nawalny war im Hungerstreik und sein Gesundheitszustand verschlechterte sich stetig, bis er lebensbedrohlich wurde. Man weigerte sich im Gefängnis, ihn von seinen eigenen Ärzten untersuchen zu lassen, obwohl nach russischem Recht jeder Gefangene dieses Recht hat. Wenn ich einen Beschuldigten in Deutschland vertrete, weiß ich, welche Rechte er hat und wie ich sie durchsetze. Bei Alexej Nawalny, der von ganz ausgezeichneten Anwaltskollegen in Russland vertreten wird, ist zwar die Rechtslage auch klar, aber ihre Durchsetzung ist wesentlich schwieriger bis unmöglich.

Angesichts solcher Verläufe: Wird bei Nawalny auch das Recht an sich verteidigt?

Absolut. Es geht um die fundamentalsten Werte einer jeden Rechtsordnung. Die internationale Staatengemeinschaft und jeder Rechtsstaat für sich müssen auf eklatante Menschenrechtsverstöße hinweisen und ihre Behebung verlangen. Zugleich bin ich nicht so verblendet zu glauben, dass Präsident Putin Alexej Nawalny von heute auf morgen freilässt – auch nicht, wenn ausländische Regierungen und ganze Staatengemeinschaften ihn dazu auffordern oder der Europarat eine Resolution erlässt. Das schmälert aber die Wichtigkeit solcher Forderungen nicht. Denn sie schaffen Öffentlichkeit – übrigens genauso wie alle Preise oder Ehrungen, die ihm zuteil werden. Das ist derzeit essentiell wichtig. Spätestens seit der zweiten Verurteilung im März diesen Jahres, wo Alexej Nawalny wegen angeblichen Betrugs zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, wissen wir, dass es ein sehr langer Weg werden kann, bis er eines Tages der Freiheit wieder teilhaftig wird.

Bei aller Professionalität, können Mandanten wie Nawalny für Sie beeindruckend oder vielleicht inspirierend sein?

Nawalny ist zweifelsohne eine beeindruckende Persönlichkeit. Er hatte von Anfang an einen ganz klaren Blick darauf, was er wollte. Ihm war von Anfang an klar, dass er nur so lange in Deutschland bleiben wird, wie es seine Genesung erfordert. Er hat keine Sekunde daran gezweifelt, dass er in seine Heimat zurückkehren wird – wohl wissend, was ihn dort erwarten kann. Es war für ihn völlig ausgeschlossen, dass er im Exil sitzt und von dort aus seine Unterstützer den Gefahren aussetzt, wenn sie auf die Straße gehen. Der Versuch, ihn zu vergiften, hat ihn mitnichten eingeschüchtert. Im Gegenteil. Deshalb ist es sicher richtig, ihn als ›furchtlos‹ zu bezeichnen, da er sich ganz früh dazu entschieden hat, Wladimir Putin nicht den Gefallen zu tun, zu schweigen, sondern sich weiterhin für ein besseres Russland einzusetzen – gerade für die junge Generation.

So etwas ist zweifelsohne eindrucksvoll. Seine Botschaften wie »Schweigt nicht, wenn Unrecht geschieht« und »Habt keine Angst« versuche ich durchaus an meine Mitarbeiter in meiner Kanzlei und meine Studierenden in den Vorlesungen weiterzugeben.

Es ist vielleicht ein sensibles Thema, aber hat das Mandat Nawalny auch Auswirkungen auf Ihre Sicherheit?

Als die Anfrage zum Mandat Nawalny kam, war mir sehr schnell bewusst, welche Dimension das haben kann, und welche Auswirkungen für mich und meine Familie. Ich habe mich aber ohne zu zögern dafür entschieden. Es abzulehnen wäre mit meinem Selbstverständnis als Anwalt nicht vereinbar gewesen. In einem Rechtsstaat wie Deutschland zu sitzen und sich einem Bürger zu verweigern, der nach Rechtsbeistand sucht, weil man selbst Angst vor Repressalien aus einem Unrechtsstaat hat, kommt für mich nicht in Betracht. Auch wenn ich Verständnis für jeden habe, der sich anders entscheidet. Es gibt gewisse Sicherheitsvorkehrungen, die man dann trifft und Gefährdungseinschätzungen, die man bekommt. So wird man mich sicherlich bis auf Weiteres nicht in einer der vielen guten Bars in Moskau antreffen.

Wie sieht so ein Treffen zwischen Ihnen und einem bedrohten Mandanten aus?

In solchen Fällen wird man, wenn die Sicherheitsvorkehrungen es vorsehen, beispielsweise von Personenschützern begleitet und mit seinem Mandanten in Sonderschutzfahrzeugen – das, was man gemeinhin als gepanzerte Limousine kennt – gefahren. Und nachts fühlt man sich durchaus sicher, wenn ein halbes Dutzend Personenschützer vor der Hotelzimmertür wachen.

Ich bin auch der Anwalt der so genannten VP01. Das ist der V-Mann, der die Sicherheitsbehörden vor Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, gewarnt hat und dessen Warnungen nicht richtig eingestuft wurden. Er gilt als eine der gefährdetsten zivilen Person Deutschlands. Ich habe ihn unter anderem in den beiden Untersuchungsausschüssen im Deutschen Bundestag und im Landtag NRW begleitet. Da gab es sehr viele Schutzvorkehrungen, die ich beachten musste, bis hin zu geheimen Treffen, zu denen ich vom LKA gebracht wurde, damit sichergestellt ist, dass uns keiner folgt.

Das ist in gewisser Weise das Feld, das ich mir durch meine kleine zusätzliche Spezialisierung auf Mandate mit politischen Bezügen ausgesucht habe. Aber umgekehrt macht es den Beruf auch besonders spannend.

Wie kamen Sie dazu, diesen speziellen Berufsweg einzuschlagen?

Schon im zweiten Semester meines Studiums stand für mich fest, dass ich Strafverteidiger werden möchte – nichts anderes. Ich erinnere mich noch sehr gut an ein Schlüsselerlebnis. Es war die Vorlesung eines Honorarprofessors, des berühmten Kölner Rechtsanwalts Norbert Gatzweiler. Er war das, was man einen »Starverteidiger« nennen würde, und er hat eine eindrucksvolle, spannende Vorlesung gehalten, in der er auch viel aus seiner Anwaltspraxis berichtete. Er dozierte geschliffen, rhetorisch brillant, argumentierte eindrucksvoll. Wir hörten auch von seinen großen, spektakulären Fällen. Das hat eine gewisse Bewunderung bei mir ausgelöst und mich für den Beruf des Strafverteidigers begeistert.

Ich durfte nun die Nachfolge seines damaligen Vorlesungsformats antreten und halte jedes Semester die Vorlesung »Praxis des Strafverfahrens« gemeinsam mit Staatsanwälten, Strafrichtern und meinem Kanzleipartner Lutz Nepomuck als Mitdozenten. Wir versuchen den Studierenden dort zu vermitteln, dass es als Strafverteidiger nicht darum geht, dass einem immer die Herzen zufliegen. Man hat die wichtige Aufgabe, die Rechte seines Mandanten mit allen Mitteln des Rechts konsequent durchzusetzen. Wenn es erforderlich wird, darf man dabei auch unbequem werden.

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