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Foto: Marcos Dominguez

„Handball und USA – das ist wie Wasser und Öl“

Handball war für Hendrik Schultze schon immer mehr als nur ein Spiel – auch wenn die Sportart in den USA bisher völlig im Schatten anderer Disziplinen steht. Der ehemalige Coach der US-Frauen-Nationalmannschaft ist Alumnus der WiSo-Fakultät der Universität zu Köln und hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Handball in den USA groß zu machen.
Im Gespräch mit Nicolas Verhoeven, Host des KölnAlumni-Podcasts, erzählt Schultze von seiner Leidenschaft und seiner Entschlossenheit, eine bisher unbekannte Sportart in einem Land zu etablieren, das für Sportbegeisterung wie kaum ein anderes steht. Grundlage des Interviews ist Folge 17 unseres Podcasts „Hier sprechen: Kluge Köpfe!“ (aufgenommen im Dezember 2024). 


Nicolas Verhoeven: Hendrik, dein Name klingt sehr deutsch, aber du bist in den USA aufgewachsen. Wie kam es dazu? 

Hendrik Schultze: Mein Vater bekam eine Forschungsstelle am Dana-Farber Cancer Institute (DFCI) in Boston und so sind meine Eltern dorthin gezogen. Eigentlich war der Plan, nach ein paar Jahren zurückzukehren, aber letztlich sind sie geblieben. Ich wurde in Boston geboren, meine Schwester auch. Als ich fünf war, haben sie sich dann doch für den Umzug zurück nach Deutschland entschieden. Ich bin also sehr deutsch aufgewachsen, hatte aber immer eine Verbindung zu den USA. Unsere Familie hat über all die Jahre hinweg engen Kontakt in beide Richtungen gehalten, vor allem zu meinen amerikanischen Kindergärtner:innen. Und ja, zum Glück ist das auch nie komplett abgerissen, sonst säßen wir jetzt auch nicht hier. 

Wie hat sich deine Leidenschaft für Handball entwickelt? In den USA ist die Sportart ja nicht gerade dominant. 

Tatsächlich habe ich Handball erst in Deutschland entdeckt. Ein damaliger Nachbar und dann auch bester Freund hat einfach gesagt: „Hendrik, ich nehme dich jetzt mit, du hast gar keine Wahl“ – und ich war sofort begeistert. In den USA hätte ich Handball wohl nie kennengelernt, weil es dort kaum eine Infrastruktur gibt und als Sportart nicht stattfindet. Mein Vater hatte zwar selbst Handball gespielt, aber meine Eltern haben mich nie gezielt zu einer Sportart gedrängt. Es war Zufall – und ich bin dankbar dafür. Im Nachhinein betrachtet war es eine glückliche Fügung, denn Handball wurde schnell ein zentraler Bestandteil meines Lebens. Ich habe in Deutschland in der Jugend gespielt, mich stetig weiterentwickelt und bin schließlich in die Leistungssportstrukturen hineingewachsen. 

Du hast BWL in Köln studiert. Wie hat sich das mit deinem Leistungssport vereinbaren lassen? 

Das war nicht immer einfach. Ich habe versucht, mein Studium um den Sport herum zu organisieren, weil mein Traum war, Profihandballer zu werden. Ich habe die ersten drei Semester, im Nachhinein zu lange, im Siebengebirge gewohnt, wo mein Heimatverein war. 2016 bin ich schließlich nach Köln gezogen, das heißt, ich bin jahrelang zwischen Siebengebirge und Köln – und ab 2020 dann als Trainer nach Dormagen – gependelt. Während meines Studiums hatte ich keine klassischen Werkstudentenjobs; Handball – sei es als Spieler, als Trainer und auch als Spieler und Trainer gleichzeitig – war meine Priorität. 

Handball statt Kellnern, kann man sagen! 

Ja genau, das bedeutete, dass mein Tagesablauf streng getaktet war: Morgens Vorlesungen an der Uni, danach lernen und abends Training. Ich habe in dieser Zeit sehr viel über Selbstorganisation gelernt. Zudem war die Uni Köln mit ihrem renommierten BWL-Studiengang für mich eine perfekte Wahl, da ich meine akademische Laufbahn mit meinen sportlichen Ambitionen kombinieren konnte. Ich habe sowohl den Bachelor als auch den Master an der WiSo-Fakultät der Uni Köln absolviert. Im Bachelor habe ich mich für BWL entschieden, im Master lag mein Schwerpunkt auf Marketing mit Nebenfach/Vertiefung Corporate Development. Besonders spannend fand ich dabei Kurse im Bereich Digitales Marketing, in denen wir Businessmodelle von Unternehmen wie Airbnb oder Uber analysiert haben. Und das hat mich so gepackt – das ist auf jeden Fall das erste und eins der coolsten Fächer, das mir in den Kopf kommt, wenn ich an die Uni denke.  

Hat das Studium eine bedeutende Rolle für deine Arbeit? 

Mir war immer wichtig, dass mein Studium auch einen praktischen Bezug hatte. Gerade durch den Master habe ich gelernt, analytisch zu denken und strategisch zu planen – Fähigkeiten, die mir heute im Sport und im Marketing enorm helfen. Durch meinen Master habe ich verstanden, dass es im Sport nicht nur darum geht, talentierte Athlet:innen zu fördern. Mindestens genauso entscheidend ist die geschäftliche Seite: Handball muss als Marke aufgebaut und professionell vermarktet werden, damit der Sport langfristig wächst. Es gibt in der Handball-Welt aktuell eine echte Debatte darüber, dass die Sportart ausstirbt und wie man das ändern kann: Langfristige Strategien und smarte Brandbildung und Positionierung sind Schlüsselbegriffe. Das ist auch Kernteil meines (Master-)Studiums gewesen. 

Noch während des Studiums, auf dem Weg zur Profi-Karriere als Torwart, kam dann der Wendepunkt mit der Hüftverletzung … 

2019 bekam ich die Diagnose Hüftimpingement, was bedeutet, dass mein Hüftkopf und die -pfanne aufgrund von Formabweichungen nicht genau zusammenpassen. Als Torwart, der extreme Beweglichkeit braucht, war das keine gute Nachricht, denn neben Schmerzen verursachte das auch Bewegungseinschränkungen. Nach zwei Operationen 2020 und 2021 wurde mir klar: Eine Karriere als Spieler ist nicht mehr realistisch. Das war ein harter Moment, denn ich hatte mein Leben lang auf dieses Ziel hingearbeitet. Zum Glück habe ich bereits mit 14 angefangen, Mannschaften zu trainieren und finde das bis heute wahnsinnig bereichernd. Dormagen bot mir die Möglichkeit, dort als Trainer zu arbeiten – eine große Chance, die ich sofort ergriffen habe. Der Wechsel vom aktiven Spieler zum Trainer im Leistungszentrum war eine Herausforderung, aber auch eine große Chance. Ich konnte mein Wissen weitergeben, junge Spieler fördern und eine neue Perspektive auf den Sport gewinnen. 

War das ein harter Prozess, sich das einzugestehen

Es war kurz, aber sehr hart. 2019 kam die Chance, Profihandballer zu werden – meine Kindheitsträume waren plötzlich greifbar. Und dann war auf einmal alles weg. Aber es hat sich sofort eine andere Tür geöffnet und im Nachhinein bin ich unglaublich dankbar, dass ich sie durchschritten habe. Ich glaube, ich bin als Trainer sogar besser aufgehoben als ich es als Spieler jemals gewesen wäre. Nach zwei Hüft-OPs hast du einfach keine Lust mehr, ständig auf Krücken zu laufen oder Schmerzen selbst beim Sitzen zu haben. Gleichzeitig merke ich, dass ich als Trainer wirklich aufgehe – es macht mir unfassbar viel Spaß. Letztlich habe ich eine Karriere, die ich wahrscheinlich sowieso nach meiner Zeit als Spieler eingeschlagen hätte, einfach zehn Jahre früher begonnen. Das bringt enorme Vorteile mit sich, weil ich diese zehn Jahre an Erfahrung jetzt schon sammeln kann. 

Heute bist du Head-Coach der US-amerikanischen U20 Frauen-Nationalmannschaft und gleichzeitig Assistant-Coach im A-Team, also der Frauen-Seniorenmannschaft. Neben dem Trainerjob kümmerst du dich aber auch um Themen wie strategisches Management und mögliche Sponsoren etc.! Und man muss das einmal deutlich betonen – du machst das alles ehrenamtlich parallel zu deinem eigentlichen Job, mit dem du dein Geld verdienst. Wie kam das zustande? 

2018 war ich als externer Torwarttrainer im Trainingslager der A-Jugend von Dormagen tätig, damals unter Jamal Naji, der Jugendkoordinator und Headcoach war. Zufällig traf ich dort auf die US-Nationalmannschaft, die ebenfalls in Dormagen ihr Trainingslager absolvierte. So entstand der erste Kontakt. In der Folge spielte ich zwei Jahre lang selbst als Nationalspieler für die USA. Bei der Frauen-A-Nationalmannschaft bin ich seit 2022 und 2023 habe ich dann die Verantwortung bekommen, auch die U20 als Cheftrainer zu betreuen. Mein Ziel ist es auf jeden Fall, Handball in den USA populärer zu machen. Es gibt dort gerade einmal fünf richtige Handballfelder! Das muss sich ändern, wenn die Sportart langfristig überleben soll. Der Aufbau von Strukturen ist eine Mammutaufgabe. In den USA gibt es keine Handball-Kultur, wie wir sie in Europa kennen. Es fehlt an Nachwuchsförderung, professionellen Ligen und finanzieller Unterstützung. Ich sehe es als meine Mission, Teil der Lösung zu sein und das zu ändern. Ich kann nicht einfach nur stillsitzen und nur meinen Coaching-Job machen, wenn ich sehe, dass ich andere Fähigkeiten habe, die ich nutzen kann, um das Gesamtprojekt US-Handball voranzutreiben. Ich weiß, das ist genau dieses Projekt, was mich mein Leben lang begleiten wird. 

Neben dem Trainerjob bist du hauptberuflich im Marketing tätig und beschäftigst dich leidenschaftlich mit dem Thema KI. Wie bringst du das alles unter einen Hut?

 Ich habe das Glück, in einem perfekten Zeitalter zu leben mit meinen Skills. Ich lebe als digitaler Nomade, arbeite örtlich ungebunden und pendele zwischen verschiedenen Orten. Dadurch bin ich ausreichend flexibel und kann unabhängig von meiner Arbeit jederzeit zu Lehrgängen mit der Nationalmannschaft reisen. Die Nationalmannschaft der USA zu betreuen, läuft aber oft auch über digitale Meetings, weil unsere Teammitglieder und Spielerinnen über die ganze Welt verteilt sind. Bei Carbon Minds arbeite ich seit 2024 zusätzlich zum Trainer-Job remote als Marketingspezialist. Carbon Minds ist ein Data-Analytics-Unternehmen, das sich auf Lebenszyklusdaten und Umweltauswirkungen in der chemischen Industrie spezialisiert hat. Das Unternehmen bietet Daten, Beratung und Schulungen zur ökologischen Nachhaltigkeit für Chemikalien und Kunststoffe an, um Unternehmen bei der Entwicklung von Klimastrategien und der Erreichung ihrer Umweltziele zu unterstützen. Und da muss ich sagen, habe ich sehr Glück gehabt, dass ich auch einen Arbeitgeber gefunden habe, der das ermöglicht. Außerdem bin ich ein echter KI-Optimist, wobei ich mich definitiv nicht als Experten bezeichnen würde. Ich benutze KI-Tools einfach tagtäglich und bin beeindruckt davon, wie diese technische Entwicklung auch das komplette Marketing gefühlt auf den Kopf stellt. Hast du ein langfristiges Ziel für den Handball in den USA? Wenn man in die Handballwelt eintaucht, merkt man sehr schnell, Handball und USA – das ist wie Wasser und Öl. Mein Ziel ist es, dass Handball in dieser sportverrückten Umgebung der USA eine ernstzunehmende Sportart wird und nicht nur eine unsichtbare Randsportart bleibt. Aktuell haben wir vielleicht 50 Fans bei Spielen. Mein Traum ist, dass die US-Nationalmannschaft vor 5.000 Zuschauern auf heimischem Boden spielt. Aber ich bin überzeugt: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Handball in den USA Fuß fasst – mit der richtigen Strategie und Beharrlichkeit. Ich sehe mich als Teil dieser Bewegung und bin gespannt, wohin die Reise geht. 

Zum Abschluss noch einmal zurück zur Uni: Wie würdest du deine Studienzeit an der Uni Köln in drei Worten beschreiben?  

Freundschaft, Wandel, Handball! 

Zur Person:

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Foto: 1. FC Köln

Nicolas Verhoeven (*1996) hat sein BWL-Studium an der WiSo-Fakultät 2022 abgeschlossen. Er ist Gastgeber des KölnAlumni-Podcasts „Hier sprechen: Kluge Köpfe“. Im Gespräch mit Alumnae und Alumni aller Fakultäten stellt er die Vielfalt der klugen Köpfe an der Uni Köln vor. Das Herz des gelernten Veranstaltungskaufmanns und WiSo-Alumnus schlägt nicht nur für die Uni, sondern auch für den 1. FC Köln – wo er mittlerweile als Redakteur für Video & Audio arbeitet und Host des offiziellen FC-Podcasts ist.    

(Foto: 1. FC Köln)

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Foto: Marcos Dominguez

Der Deutschamerikaner Hendrik Schultze (*1996) schloss sein Studium (BWL/Marketing) an der WiSo-Fakultät 2022 ab und war in dieser Zeit selbst als Handball-Torwart und Torwart-Trainer aktiv. Darunter fielen Stationen bei der HSG Siebengebirge Jugend, als Torwart der US-Nationalmannschaft, beim Handballverband Mittelrhein e.V. und beim TSV Bayer Dormagen. Hauptberuflich ist er heute als Marketing-Spezialist bei Carbon Minds tätig – ehrenamtlich und voller Leidenschaft setzte er sich als Head Coach des Junior Women‘s National Teams und als Assistent Coach des Senior Women‘s National Teams der USA (bis März 2025) für die Stärkung des Handballs ein.  (Foto: Marcos Dominguez)