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Foto: Thomas Arntz | KölnAlumni
Fern der Heimat: Neustart in der Wissenschaft

„Die Universität zu Köln wurde mein Anker“

Die Zahl der Menschen, die vor Krieg, Konflikten, Willkür und Verfolgung fliehen müssen, hat nach Angaben der Vereinten Nationen einen neuen Höchststand erreicht. Weltweit sind rund 110 Millionen Menschen auf der Flucht, wie das UN-­Flüchtlingshilfswerk UNHCR im September 2023 berichtete. Hinter dieser verheerenden Anzahl von Geflüchteten und Vertriebenen stehen genauso viele Starts in ein ganz neues Leben – in einem neuen Land, mit einer fremden Sprache und einer anderen Kultur. Oft entspringen diese Neuanfänge jedoch – anders als viele andere Geschichten in diesem Heft – nicht nur der eigenen Motivation, sondern einer Lebenssituation, die einen kompletten Neustart schlichtweg erzwingt.

Auch die Wissenschaftlerin Dr. Aslan (Name geändert) musste ihre Heimat verlassen. Ihre zukunftsversprechende Karriere in der Türkei fand ein abruptes Ende, als der Putschversuch im Juli 2016 nicht nur die politische, sondern auch ihre persönliche Lage in Gänze veränderte. Als Reaktion auf den Putsch ergriff die türkische Regierung weitreichende Maßnahmen: Zahlreiche Hochschulen wurden geschlossen, Rücktritte und Suspendierungen erzwungen, Wissenschaftler:innen inhaftiert und Reiseverbote für Tausende von Personen verhängt.

Aufgrund des immer größer werdenden Drucks und zunehmender Gefahr verließ auch Dr. Aslan 2018 ihre Heimat und kehrte ihrer akademischen Karriere in der Türkei (un-)freiwillig den Rücken. Sie fing in Köln ein neues Leben an – und erhielt in dieser heraus­fordernden Zeit Unterstützung verschiedener Institutionen, Initia­tiven und Menschen: So wurde sie von Mitarbeiter:innen der Abteilung Internationale Wissenschaft der Universität begleitet, die ein umfangreiches Unterstützungsangebot für gefährdete und geflüchtete Wissenschaflter:innen anbietet. Das Welcome Center für internationale Wissenschaftler:innen unserer Hochschule unterstützte sie darüber hinaus in allen Fragen, die das Leben und das Arbeiten in Deutschland betreffen, insbesondere bei Aufenthaltsangelegenheiten und Familienzusammenführung. Ganz persönliche Unterstützung bei ihrem akademischen An- und Fortkommen erhielt sie außerdem durch ihren Mentor, einem Professor aus ihrem Fachbereich. Heute steht Dr. Aslan kurz vor ihrer Approbation für die Ausübung ihres Berufs und hat eine gute Karriereperspektive in Deutschland.

Eine Mitarbeiterin der Abteilung Internationale Wissenschaft an der Universität zu Köln hat für uns mit Dr. Aslan über ihre persönliche Geschichte gesprochen. Die echten Namen der Wissenschaftlerin, der Mitarbeiterin und des Mentors werden auf Wunsch der Beteiligten nicht genannt.

Dr. Aslan, wie kam es konkret zum Weggang aus der Türkei?

Die türkische Regierung nahm nach dem Militärcoup offensiv Personen und Forschende ins Visier, denen vorgeworfen wurde, sich gegen die Regierung aufzulehnen und somit die Einheit der Nation zu bedrohen. Mehrere meiner Kolleg:innen und Familienmitglieder wurden im Zuge dieser Verfolgung festgenommen. Gegen sie wurde wegen ihrer mutmaßlichen Verbindung oder Komplizenschaft zu terroristischen Organisationen ermittelt. Danach fühlte ich mich nicht mehr sicher in meinem Heimatland.

Ich wusste, dass für meine neue Anstellung in der Türkei ein „Pre-Employment-Screening“ bevorstand. Die Atmosphäre war zu dem Zeitpunkt mehr als angespannt und Anschuldigungen wurden aus meiner Sicht recht willkürlich erhoben. Ich befürchtete, dass mir ähnliche Konsequenzen drohten wie Angehörigen meiner Familie und Kolleg:innen.

Aus meinem privaten Umfeld hatte ich bereits bedrohliche Hinweise dazu erhalten. Ich verlor das Vertrauen in mein Heimatland, ein sehr einengendes Gefühl. Zudem hatte ich große Sorge, dass meine wertgeschätzten Kolleg:innen, die sich an der Universität für meine Anstellung eingesetzt hatten, in Schwierigkeiten geraten könnten. Aus diesem Grund verließ ich 2018 meine Heimat und kehrte meiner dortigen akademischen Karriere den Rücken.

Wie kamen Sie nach Köln?

Bereits vor einigen Jahren hatte ich während einer internatio­nalen Projektzusammenarbeit einen Professor kennengelernt, der auch an der Uni Köln tätig ist – in einem Fachbereich, in dem ich ebenfalls eine Expertise beisteuern kann. Ich wandte mich mit der Anfrage um eine Forschungskooperation an ihn und war danach ein Jahr lang als Gastwissenschaftlerin tätig. Für mich stand fest, dass ich nicht mehr in die Türkei zurückkehren würde. Verfestigt wurde dieses Vorhaben dann mit der Nominierung für das Philipp-Schwartz-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung*.

Wie haben Sie Ihr Ankommen in Köln wahrgenommen? Wie war Ihr Neustart in Köln?

Ich war und bin zu allererst mehr als dankbar für die Unter­stützung der Universität zu Köln – und insbesondere auch dem Professor, der in diesem Zuge zu meinem Mentor wurde. Die Universität zu Köln war mein Anker in der doch sehr brüchigen Situation, in der ich mich befand.

Da ich aber bereits in meiner Vergangenheit mit Herausforde­rungen konfrontiert war, versuchte ich auch diesem Umbruch mit Optimismus zu begegnen. Ich versuchte mich erst einmal alleine zu orientieren, bevor ich ein Jahr später meine Familie zu mir nach Köln holte. Für die erste Zeit war neben meinem Mentor auch die Unterstützung der Mitarbeiter:innen aus dem Scholars at Risk-Bereich der Uni Köln sowie das Welcome ­Center wertvoll für mich. Absolut wichtig war und ist es immer noch, um die richtigen Ansprechpartner:innen zu wissen – für jegliche Fragen, die mein Leben und Arbeiten in Deutschland betreffen. Besonders aufreibend sind die Aufenthaltsangelegenheiten. Temporäre ­Aufenthaltstitel und das damit verbundene Ablaufdatum waren stets eine emotionale Herausforderung für mich und meine Familie. Hier bin ich auch besonders dankbar für die Unterstützung und das Engagement der Kolleg:innen. Mein Mentor hatte zudem stets ein offenes Ohr für meine Anliegen und unterstützte mich von Anbeginn in meinem akademischen und beruflichen Fortkommen.

An welchem Punkt befinden Sie sich aktuell? Wie beurteilen Sie Ihr Ankommen in Köln im Nachhinein?

Meine Familie und ich fühlen uns wohl. Meine Kinder besuchen die Schule und mein Mann hat mittlerweile – auch dank der Unterstützung der Universität – eine unbefristete ­Anstellung gefunden. Wir fühlen uns angekommen und bemühen uns ­un­ermüdlich darum, unser neues Leben in Köln zu gestalten. Ich schaue wehmütig zurück, aber ich schaue auch mit ganz viel Zuversicht nach vorn, und das ist das Wichtigste.

*Anmerkung der Redaktion: Die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Auswärtige Amt riefen 2015 die Philipp-Schwartz-Initiative ins Leben. Mithilfe dieses Programms können Wissenschaftler:innen, die in ihren Herkunftsländern erheblicher und anhaltender persönlicher Gefährdung ausgesetzt sind, ihre Arbeit an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen fortsetzen. Jede Hochschule hat die Möglichkeit, Wissenschaftler:innen zu nominieren, die sie für die Zeit der zweijährigen Stipendiendauer akademisch beheimaten kann. Die Universität zu Köln konnte 15 Stipendiat:innen im Zuge dieses Programms für sich ge­winnen – und ist somit eine der aktivsten Hochschulen in diesem Bereich.

Hörtipp Kölnalumni Podcast

„Ich möchte was bewegen!“ Alumnus Ziyad Farman über Heimat, Flucht und die Macht der Integration

Ziyad Farman (Foto: Thomas Arntz | KölnAlumni)

Auch Ziyad Farman (*1994), Alumnus der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, hat seine persönliche Flucht-Erfahrung mit uns geteilt. Ziyad ist 2014 vor dem sogenannten IS aus dem Irak geflohen und schildert in Folge 15 des KölnAlumni-Podcasts „Hier sprechen: Kluge Köpfe” eindrücklich seinen Weg aus dem Irak bis an die Uni Köln. Während des ­Intermedia-Studiums, das er mittlerweile erfolgreich abgeschlossen hat, wurde er mit dem DAAD-Preis für hervorragende Leistungen ausländischer Studierender ausgezeichnet – im Oktober 2023 hat er ein Redaktionsvolontariat beim ZDF begonnen. 

Mit seiner Arbeit verbindet Ziyad erfolgreich Menschen, Medien und Lebensweisen: Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen berichtet er als Journalist, YouTuber und Moderator für „WDRforyou“ über Themen rund um Migration und Zusammenleben und hilft anderen Migrant:innen mit seinem YouTube-Kanal dabei, sich in Deutschland besser zurechtzufinden.

Seit 2021 ist Ziyad Farman zudem Wertebotschafter für die unabhängige Bildungsplattform GermanDream, die sich für Werte des Grundgesetzes stark macht. Er schafft mit seinem Engagement immer wieder Schnittstellen zwischen Kulturen und stärkt in ganz eindrücklicher Weise den interkulturellen Dialog. Was treibt ihn an? Wie ist er angekommen? Und was bedeutet Heimat für ihn? Im Podcast erhalten Sie Antworten auf diese Fragen und erfahren mehr über Ziyads Weg, seine Ankunft in Deutschland und seine Wünsche für die Zukunft! 

Hören Sie rein: Auf allen gängigen Kanälen und unter https://alumni.uni-koeln.de/alumni-stories/podcast

Unterstützung für Forschende mit Gefährdungshintergrund (Abt. Internationale Wissenschaft) 
Weltoffenheit und die Wahrnehmung globaler Verantwortung als akademische In­stitution gehören zum Selbstverständnis der Universität zu Köln. Auf dieser Grundlage hat die UzK bereits 2015 ein Gesamtkonzept von Unterstützungsstrukturen für gefährdete Studierende, Promovierende und Wissenschaftler:innen entwickelt. Ebenfalls 2015 trat die Uni Köln dem internationalen Netzwerk Scholars at Risk (SAR) bei.

In den vergangenen Jahren wurde sukzessive ein Beratungs- und Unterstützungsangebot aufgebaut. Die Angebote verfolgen das Ziel, die Grundvoraussetzungen für eine aka­demische oder auch außerakademische Karriere zu optimieren und dabei den besonderen sozialen und bürokratischen Herausforderungen der Forschenden und ihrer Familien gerecht zu werden. Während Mentor:innen als wissenschaftliche Ansprechpersonen fungieren, werden alle weiterführenden Beratungs- und Unterstützungsangebote von der Abteilung Internationale Wissenschaft koordiniert. Weitere Informationen zu den Programmen und Angeboten der UzK für geflüchtete ­Wissenschaftler:innen und Studierende >> finden Sie hier!