zum Inhalt springen
vergrößern:
Foto: LinkedIn Changemaker

Vier Elemente für gelingende Vereinbarkeit von Familie und Beruf

VON JULIANE SCHREIBER

„Nimm dir doch auch mal Zeit für dich.“ „Es muss doch nicht immer alles perfekt sein.“ „Entspann dich doch einfach mal.“ Das sind auch 2025 noch Empfehlungen, die berufstätige Eltern – häufiger die Mütter als die Väter – hören, wenn sie ansprechen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht so einfach läuft. Als Family Career Beraterin und Gründerin einer DACH-weit aktiven Community für berufstätige Mütter arbeite ich täglich mit Eltern und Unternehmen am Großprojekt Vereinbarkeit. Und Sätze wie „Entspann dich doch einfach mal“ sind leider nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Aber worum geht es bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich? Ist es denn so kompliziert? Und wie sehen umsetzbare Lösungen aus? Vorab: Vereinbarkeit ist ein Teamprojekt mit vielfältigen Akteur:innen, das nur gelingt, wenn diese vier Elemente zusammenkommen:

1. Element: Gleichstellung im Privaten

Wer Frauen im Beruf fördern will, muss auch Mütter zu Hause stärken. Denn das beste Mentoring oder Coaching für weibliche Führungskräfte versagt, wenn die Mitarbeiterin zu Hause die überwiegende Last der Care-Arbeit und des Mental Loads trägt. Laut Gender Care Gap leisten Frauen pro Tag durchschnittlich 44,3 Prozent mehr Care-Arbeit als Männer. Dazu gehören Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen. In konkreter unbezahlter Arbeitszeit verrichten Frauen laut Erhebungen des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von 2022 täglich 79 Minuten mehr Care-Arbeit als Männer. Weitere Vergleiche zwischen kinderlosen Frauen und Müttern zeigen zudem, dass Letztere im Schnitt wöchentlich 15 Stunden mehr unbezahlte Care-Arbeit leisten als kinderlose Frauen und fünf Stunden weniger Erwerbsarbeit (bezahlte Arbeit) tätigen. Das Zuhause ist für viele berufstätige Mütter kein Ort der Erholung, wo sie „nach der Arbeit“ ihre Batterien wieder aufladen, sondern Stätte der zweiten Schicht (im Sinne von Arlie Hochschild).

Zudem sind sich Paare sehr häufig uneinig darüber, wer wie viel macht. „Aber ich helfe doch im Haushalt“, hört man häufig von Partnern und Vätern, die damit direkt entlarven, wo die Verantwortung für Haushalt und Familie liegt.* In einer gleichberechtigten Partnerschaft führen zwei Menschen gemeinsam ihren Haushalt. Väter babysitten nicht ihre eigenen Kinder. Darum empfehle ich Unternehmen und Teams, die berufstätige Mütter fördern wollen, in Maßnahmen für mehr Gleichberechtigung im Privaten zu investieren. Denn erst dann erscheinen berufstätige Mütter ausgeruht und voller Energie am Erwerbsarbeitsplatz.

2. Element: Vereinbarkeitsmaßnahmen in Unternehmen

Als ich einem Unternehmer kürzlich sagte, dass es in Deutschland ein allgemeines Recht auf Teilzeit gibt (das Teilzeit- und Befristungsgesetz), das in Unternehmen ab einer Größe von 15 Mitarbeitenden gilt, glaubte er mir nicht. „Das ist doch nur was für Muttis, die auch ein bisschen was dazuverdienen wollen“, war sein Tenor. Dass Vereinbarkeitsmaßnahmen als Sonderbehandlungen für Eltern – meistens berufstätige Mütter – angesehen werden, die eigentlich keine Karriereambitionen haben, ist leider der Fehler vieler solcher Maßnahmen. Als Family Career Beraterin finde ich mit Unternehmen Maßnahmen, die Stereotype aufbrechen und zum tatsächlichen Bedarf der Mitarbeitenden passen. Ein Zusammenspiel aus Aktionen, die Einfluss auf die Unternehmenskultur nehmen, und konkreten strukturellen Veränderungen halte ich dabei für am sinnvollsten.

Eines meiner Lieblingstools dafür ist das Workshop-Format „Empathy Walk“. Dabei notieren die Teilnehmer:innen auf einem Blatt Papier, was sie alles getan haben oder ihnen heute schon passiert ist. Vom Moment, in dem sie heute die Augen das erste Mal geöffnet haben bis zu dem Moment, in dem sie nun in diesem Workshop vor mir sitzen. Diese Tagesabläufe werden dann im Raum aufgehängt, und die Teilnehmer:innen dürfen durch den Raum gehen und so die Welten der anderen betreten. Dabei fällt auf, wer schon drei Stunden Care-Arbeit geleistet hat – vor der ersten E-Mail.

Es fällt aber auch auf, wenn mehrere Mitarbeiter:innen aufgrund der Bahnverbindungen zur Arbeit Probleme haben, den festgelegten Arbeitsbeginn pünktlich zu erreichen. Auf diesem Alltagseinblick aufbauend lassen sich dann passende strukturelle Veränderungen (die meist gar nicht riesig oder teuer sein müssen) vorschlagen, diskutieren und ausprobieren.

3. Element: Mentale Gesundheit

Statt Mental Health haben berufstätige Mütter Mental Load. Dieser Faktor verstärkt das bestehende Missverhältnis der Care-Arbeit noch. Mental Load ist ein komplexes Projektmanagement, das man sich als kontinuierlichen Gedankenfluss vorstellen kann: Welches Kind muss wann wo sein? Wie kommt es dahin? Welche Ausstattung braucht es dazu? Welche Kleidung muss dafür in welcher Größe wo abgeholt, rechtzeitig gereinigt und eingepackt werden? Wer hat wann Geburtstag? Haben wir das Geschenk schon bestellt? Wurde das Geld für den Ausflug überwiesen? Wie ist die Frist? Dem Mental Load immanent ist, dass die Personen, die ihn schultern, quasi nie abschalten.

Das Müttergenesungswerk (MGW) hat in den letzten Jahren einen signifikanten Anstieg von Erschöpfungssyndromen bis hin zu Burnout bei Müttern in Deutschland festgestellt. Laut MGW ist die Zahl der betroffenen Mütter in den letzten zehn Jahren um 37 % gestiegen.

Eine hohe Arbeitsbelastung sowie ein hohes Maß an Care-Arbeit und das ständige „mentale Zwei-Wochen-im-Voraus-Sein“ rauben Kraft und Energie. Ich empfehle Unternehmen darum, zusätzlich zu – und manchmal sogar statt – strukturellen Veränderungen von Arbeitszeit oder -ort, Elternschaft und Pflege als Gesundheitsfaktoren im betrieblichen Gesundheitsmanagement zu berücksichtigen. Vom Arbeitgeber finanzierte Entspannungsübungen, Kurse oder Coachings können niedrigschwellige Angebote mit großem Einfluss auf die Gesundheit, Zufriedenheit und Mitarbeiter:innenbindung sein.

4. Element: Staatliche Rahmenbedingungen

Laut dem Familienreport 2024 des BMFSFJ ist die Mehrheit der Eltern bestrebt, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren. Auch ich erlebe Eltern, die sich sehr ausführlich informieren und themenrelevante Coachings und Kurse in Anspruch nehmen.

Meine Arbeit mit Unternehmen zeigt, dass auch diese in Deutschland die Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorantreiben wollen, durch flexible Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten und familienfreundliche Unternehmenskulturen. Beides reicht jedoch noch nicht aus. Denn gelingende Vereinbarkeit ist ein Zusammenspiel aus drei Organen: Eltern/Pflegende Angehörige, Unternehmen und unsere politische bzw. staatliche Gemeinschaft.

In Deutschland besteht ein signifikanter Mangel an Betreuungsplätzen für Kinder, sowohl in Kindertagesstätten als auch in der Ganztagsbetreuung für Schulkinder. Laut einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlten im Frühjahr 2024 bundesweit rund 306.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Dies bedeutet, dass der Betreuungsbedarf von 13,6 % der Kinder in dieser Altersgruppe nicht gedeckt werden konnte. Eltern klagen zudem über ständige Notbetreuung und Unsicherheit darüber, wann ihre Kinder für wie lange betreut werden. 

Das Ehegattensplitting ist ein Modell, das der Gleichstellung in der Partnerschaft im Weg steht. Hinzu kommen Herausforderungen wie fehlende Kita-Plätze, marode Schulen und überlastete Lehrkräfte. Von staatlicher Seite wurde in den letzten Jahren sehr wenig für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf getan. Und wie immer beim Zusammenspiel mehrerer Seiten führt ein Defizit auf einer Seite dazu, dass die anderen beiden Seiten versuchen, diesen Mangel zu kompensieren.

Bis zu einem gewissen Grad gelingt das, aber nicht dauerhaft und nicht ohne Verschleiß – in diesem Fall bei der Gesundheit von Eltern und deren Produktivität sowie dem Vertrauen von Unternehmen in die Verfügbarkeit von Eltern. Wenn Eltern auf Grund von immer weiter reduzierten Kita-Öffnungszeiten immer weniger Zeit für die Erwerbstätigkeit haben, entscheiden sich Unternehmen schließlich für Arbeitnehmer:innen, die keine familiären Verpflichtungen haben, um z. B. ihre Betriebszeiten zu sichern. Das Nichthandeln des Staates spielt Eltern und Unternehmen dann sogar gegeneinander aus.

Indem alle Akteur:innen gemeinsam Verantwortung übernehmen, können wir eine Arbeitswelt schaffen, in der Eltern ihre beruflichen und familiären Aufgaben harmonisch miteinander verbinden können. Dies fördert nicht nur das Wohlbefinden der Familien, sondern stärkt auch die Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt.

*Anmerkung: Dieser Artikel thematisiert Dynamiken im heteronormativen, traditionellen Familienmodell. Leider gibt es bisher wenig Forschung zur Verteilung des Mental Loads bei gleichgeschlechtlichen Paaren – wie z. B. zu der Frage, ob Positionen und Verantwortlichkeiten als Eltern in diesen Konstellationen individueller ausgehandelt werden.

Zur Person:

vergrößern:
Foto: Amanda Dahms

Phil-Alumna Juliane Schreiber (*1984) hat ihr Masterstudium (North American Studies, 2009-2011) an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln absolviert und das Thema Vereinbarkeit zu ihrem beruflichen Inhalt gemacht: Sie ist Family Career Beraterin und Gründerin des deutschlandweiten Netzwerks Mama Meeting. Sie unterstützt Unternehmen dabei, familienfreundliche Arbeitsmodelle und eine wertschätzende Unternehmenskultur zu etablieren und begleitet Paare & Einzelpersonen dabei, ihr individuelles Vereinbarkeits-Setup zu finden. Zu ihren Auftraggeber:innen gehören Unternehmen, öffentliche Institutionen und Kommunen sowie Verbände und Kompetenzzentren. In der Weiterbildung „Family Career Berater:in“ gibt sie Vereinbarkeitstools an freiberufliche und in Unternehmen angestellte Berater:innen weiter.