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Foto: Thomas Arntz | KölnAlumni
NEUE FORSCHUNGSSTELLE AN DER UNIVERSITÄT ZU KÖLN

Nachrichtendienste im Fokus

VON JONAS BARTHLE 

Ob Ukraine-Krieg, vermehrte islamistische Anschläge oder die Bedrohung durch rechtsextremistische Parteien – in Deutschland wird derzeit so intensiv wie lange nicht über die äußere und innere Sicherheit diskutiert. Dabei zeigt sich, dass polizeiliches Einschreiten oftmals zu spät kommt oder aber die rechtlichen Schwellen für eine Intervention noch nicht überschritten sind. Im Vorfeld konkreter Gefahren tätig zu werden, ist vielmehr Aufgabe der Nachrichtendienste – die mangels exekutiver Befugnisse nicht als Geheimdienste bezeichnet werden können. Die sie betreffenden Rechtsgrundlagen werden im universitären Kontext bislang allerdings eher stiefmütterlich behandelt und sind, anders als das Polizeirecht, nicht Gegenstand der juristischen Pflichtausbildung.  

Vor diesem Hintergrund hat sich die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln im Sommer 2024 entschlossen, am Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre unter Leitung von Prof. Dr. Markus Ogorek die Forschungsstelle Nachrichtendienste einzurichten. Die Forschungsstelle, deren Geschäfte der Jurist Luca Manns führt, begleitet die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) im Inland, die beide in Köln ansässig sind. Daneben richtet sie ihren Blick auf die auswärtige Tätigkeit des hierfür zuständigen Bundesnachrichtendienstes (BND) und auf nachrichtendienstliche Nebengebiete wie den amtlichen Geheimschutz oder staatliche Zuverlässigkeitsprüfungen. Bei alledem greift sie auf die Angehörigen und Ressourcen ihres Heimat-Instituts zurück. 

Forschungs-Schwerpunkt Rechtsextremismus

Seit Jahren größter Tätigkeitsbereich im Inland und dementsprechend auch ein wissenschaftlicher Schwerpunkt der Forschungsstelle ist der Rechtsextremismus. Nachdem die Strukturen neonazistischer Gruppierungen von den Sicherheitsbehörden lange eher nachlässig aufgeklärt wurden, hat das Aufdecken des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ zu einem Umdenken geführt. Neben gewaltbereiten oder gewalttätigen Bestrebungen, die in den letzten Jahren zunehmend auch von Einzeltätern ausgehen (Anschläge in Halle, Offenbach oder auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke), stehen Akteure der „Neuen Rechten“ im Fokus. Dazu zählen Gruppierungen wie die „Identitäre Bewegung“ oder Publikationsorgane wie das „Compact Magazin“, dessen Verlag das Bundesinnenministerium vor einigen Monaten verbieten wollte.  Auch aus der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) sind Bestrebungen identifizierbar, die den Islam als minderwertige Religion darstellen oder die Gruppe der deutschen Staatsangehörigen in „echte Deutsche“ sowie bloße „Passdeutsche“ einteilen – und damit die Menschenwürde angreifen. In diesem Lichte ist der Bundesverband mit immerhin 50.000 Mitgliedern inzwischen als „Verdachtsfall“ und sind mehrere Landesverbände der Partei sogar als „gesichert extremistisch“ eingestuft worden. Die Beobachtung der AfD hat eine breite Diskussion darüber ausgelöst, wie weit der Staat in den Wettbewerb der politischen Meinungen eingreifen und darüber öffentlich berichten darf. Die Forschungsstelle hat sich mit diesen Fragen in Fachaufsätzen und anlässlich diverser Medienanfragen intensiv beschäftigt. Besondere Relevanz spielten das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Einstufung der Gesamtpartei und der Umgang mit der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Öffentliche Diskussion zum Einfluss fremder Mächte

An Bedeutung gewonnen hat, neben den Bedrohungen aus dem Innern, insbesondere die Einflussnahme durch fremde Mächte in Deutschland. Während die Volksrepublik China im Schwerpunkt Wirtschaft und Wissenschaft – darunter auch Universitäten – ausforscht, geht die Russische Föderation mittlerweile auf allen denkbaren Ebenen gegen die Bundesrepublik vor. Dazu zählen Desinformationskampagnen, Hackerangriffe, Ausspähungen, Sabotagehandlungen, Entführungen und sogar Morde wie etwa 2019 im Kleinen Tiergarten von Berlin. Anlässlich dieses enormen Bedrohungsanstiegs hat die Forschungsstelle ihre erste Tagung des künftig jährlich stattfindenden und sich an junge Forscherinnen und Forscher richtenden „Kölner Forums Nachrichtendienste“ im Herbst 2024 unter der Überschrift „Fremde Mächte in Deutschland“ abgehalten. Der Einladung nach Schloss Wahn waren rund 60 Doktorandinnen und Doktoranden sowie Habilitandinnen und Habilitanden gefolgt – vonseiten der Universität zu Köln ebenso wie den Universitäten Bayreuth, Berlin (FU und HU), Bielefeld, Bochum, Bonn, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Lüneburg, Mainz, Marburg, Osnabrück und Wiesbaden/Oestrich-Winkel. Auch Vertreter von Max-Planck-Instituten oder polizeilichen Forschungseinrichtungen nahmen teil. Sie diskutierten in vertraulichem Rahmen konstruktiv-kritisch mit Expertinnen und Experten der Nachrichtendienste sowie des Generalbundesanwalts. Vorgestellt wurden etwa die aktuellen Schwerpunkte der Spionageabwehr mitsamt konkreten Fallbeispielen, die später teils auch medial thematisiert wurden (z. B. Sprengsätze in Frachtflugzeugen), oder die militärische Bedrohung durch die russischen Streitkräfte mittels Karten- und Zahlenmaterial. Diskutiert wurden ferner mögliche Strafbarkeitslücken bei der Abwehr fremder Einflusskampagnen sowie die Möglichkeiten und Grenzen des präventiven Geheimschutzes. 

Die Rückkehr des islamistischen Terrorismus

Die zweite Veranstaltung des „Kölner Forums Nachrichtendienste“ ist für den Spätsommer 2025 geplant und wird Themen des Islamismus sowie islamistischen Terrorismus behandeln. Bereits seit Jahrzehnten treten in wellenförmigen Entwicklungen Dschihadisten und andere islamistische Extremisten auf, deren Handlungsmuster sich kontinuierlich verändern. Während einige dieser Gruppierungen primär politische Macht in ihrer Heimatregion ausüben wollen, war es namentlich Al-Qaida, die durch aufwändige Anschläge im Westen für Aufsehen gesorgt hatte. Durch den Ausbau der signaltechnischen Aufklärung, die vielen Deutschen erst im Zuge der „NSA-Affäre“ bewusst wurde, konnte die Aufdeckung komplexer Terrorpläne deutlich verbessert werden. Die nunmehr als „IS“ bzw. als dessen afghanischer Ableger „ISPK“ agierenden Attentäter verfolgen andere Muster: Nach Selbstradikalisierung oder Anwerbung über eine verschlüsselte Chatverbindung nutzen die Einzeltäter oder Kleingruppen häufig nur noch Gegenstände wie Messer oder Fahrzeuge, deren Beschaffung sich kaum nachvollziehen lässt. Die Forschungsstelle wird die Maßnahmen der Nachrichtendienste auf diesem Feld auch künftig begleiten und rechtswissenschaftlich einordnen. 

Breitere Verankerung in der universitären Lehre

Um all diese Themen in die rechtswissenschaftliche Ausbildung zu integrieren, bietet die Forschungsstelle eine Spezialisierungsvorlesung zur „Öffentlichen Sicherheit“ im Rahmen des entsprechenden juristischen Schwerpunktbereichs an, die sich ausschließlich mit den Nachrichtendiensten befasst. Lehrinhalte sind dort beispielsweise Aufbau und Organisation der Behörden, ihre Befugnisse, die einzelnen Phänomenbereiche und verwandte Fragen der Extremismusbekämpfung. Zum letztgenannten Bereich werden viele Fragen derzeit auch öffentlich diskutiert: Wie kann man Vereine oder Parteien verbieten? Lässt sich eine Grundrechtsverwirkung für einzelne Extremisten umsetzen – und wäre sie sinnvoll? Muss der Staat Verfassungsfeinde mit Steuergeld fördern oder im öffentlichen Dienst beschäftigen? Und wie prüft er, ob polizeiliche, soldatische oder auch private Waffenbesitzerinnen und -besitzer besonders zuverlässig zu unserer Werteordnung stehen? Neben Forschungsstellen-Direktor Ogorek bringt sich hier mit praktischen Einblicken auch Berlins Justizsenatorin und frühere Verfassungsschutz-Vizepräsidentin Dr. Felor Badenberg ein. Ferner spielen Fragen der Aufsicht eine entscheidende Rolle. In wohl kaum einem Staat der Welt gelten für die Nachrichtendienste derart weitgehende Beschränkungen, Vorab- und Nachkontrollen sowie Berichts- und Dokumentationspflichten. Bedingt durch verfassungsgerichtliche Judikate steht insbesondere der Bereich der unabhängigen Aufsicht vor einer Umgestaltung und eventuellen Konsolidierung. Die Forschungsstelle bringt diese Aspekte in ihre Lehre ein, publiziert darüber ebenso und berät politische Akteure sowohl hierzu als auch zu Fragen des Parlamentsschutzes und der Identifikation von Verfassungsfeinden in den Reihen der Nachrichtendienste.

Ergänzt wird die angesprochene Vertiefungsvorlesung durch Vorbereitungs- und Schwerpunktseminare, bei denen angehende Juristinnen und Juristen der Universität zu Köln ihre argumentativen Fähigkeiten ausbauen können. Diese Seminare werden üblicherweise gemeinsam mit Hon.-Prof. Dr. Günter Krings ausgerichtet, der als fachlich versierter Bundestagsabgeordneter und früherer Sicherheitsstaatssekretär im Bundesinnenministerium auch Mitglied der Forschungsstelle ist. Um das geheime Nachrichtenwesen künftig für Studierende anderer Fächer zugänglich zu machen, ist darüber hinaus geplant, eine Vorlesung zu „Nachrichtendiensten in Deutschland und weltweit“ in einem künftigen EUniWell-Masterstudiengang „Global Peace, Justice and Well-Being“ durch den Geschäftsführer der Forschungsstelle, Luca Manns, anzubieten.

Hohe Nachfrage in der Öffentlichkeit

In dem ersten halben Jahr ihres Bestehens hat die Forschungsstelle Nachrichtendienste bereits zahlreiche Aktivitäten entfalten können. Über 15 wissenschaftliche Aufsätze und Beiträge zu extremismus-, spionage- oder geheimschutzbezogenen Fragen wurden verfasst, knapp 25 mediale Auftritte (Interviews, Gastbeiträge usw.) absolviert und ebenso viele Hintergrundgespräche mit Angehörigen der Medien geführt. Themen waren etwa die Auswirkungen einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die Einstufung der „AfD“ und ihres Umfeldes, sicherheitliche Gefährdungen durch die Russische Föderation sowie Fragen danach, ob den deutschen Nachrichtendiensten genügend Befugnisse zur Verfügung stehen. Daneben erfolgte ein intensiver und vertraulicher Austausch sowohl mit Nichtregierungsorganisationen, die etwa ihre Haltung zu einem „AfD-Verbot“ prüfen wollten, als auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Nachrichtendienste einschließlich ihrer Aufsichtsgremien. In diesem Zuge nahmen Angehörige der Forschungsstelle an verschiedenen Podiumsdiskussionen teil und hielten diverse Vorträge – etwa auf der Berliner Rechtspolitischen Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung, vor Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung, im Rahmen der 20-Jahrfeier von Campact e.V. oder beim Symposium des Dimitris-Tsatsos-Instituts in Hagen. 

Schließlich koordinierte die Forschungsstelle die Konzeption und Entwicklung des „ExtremismusMonitor Thüringen“. Dem Ziel, Diskursverschiebungen sichtbar zu machen, dient jene wissenschaftliche Sammlung und Auswertung potentiell verfassungsfeindlicher Äußerungen aus der Thüringer AfD, die im Herbst 2024 veröffentlicht wurde und auf große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit stieß. Für die Studie wurden systematisch weit mehr als 1.000 Äußerungen von Funktionärinnen und Funktionären der Partei auf Landes-, Kreis- sowie Stadtebene analysiert, die für jedermann frei abrufbar waren – etwa auf Facebook, YouTube und Telegram. Dabei lag der Fokus auf vergleichsweise aktuellen Inhalten, insbesondere aus den Jahren 2021 bis 2024. Nach rechtswissenschaftlicher Bewertung konnten rund 150 Postings, Podcasts und Videos identifiziert werden, die sich mit Blick auf elementare Werte des Grundgesetzes als problematisch erweisen; etwa, weil sie pauschalierend-fremdenfeindlich sind oder die verfassungsmäßige Ordnung aktiv infrage stellen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden später in medialen Berichten ebenso aufgegriffen wie bei Diskussionen in Schulen oder NS-Dokumentationszentren. 

Weiterhin hohe Aktivitäten erwartet

Mit Blick auf die Entwicklungen in allen Phänomenbereichen des Extremismus und besonders der ausländischen Einflussnahme erwartet die Forschungsstelle auch künftig eine hohe Auslastung. Tagesaktuelle Bewertungen auf fundiertem universitären Niveau zu oftmals sensiblen Angelegenheiten zur Verfügung zu stellen, wird hierbei eine besondere Herausforderung bleiben. Zugleich ist ein deutlich gesteigertes Interesse an nachrichtendienstlichen Fragestellungen sowohl unter den Studierenden als auch in der Allgemeinheit auszumachen. Die Arbeit der deutschen Dienste weiterhin kritisch, aber immer konstruktiv zu begleiten, ist Aufgabe der Forschungsstelle Nachrichtendienste im Verlauf des Jahres 2025 und darüber hinaus.  

Jonas Barthle ist Alumnus der Rechtswissenschaftlichen Fakultät (Master of Laws, LL. M. – Recht der Digitalisierung, 2023-2024) und Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hengeler Mueller –  Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Er hat zuvor an der Erstellung des „ExtremismusMonitor Thüringen“ mitgewirkt. Dieser Beitrag (Stand: 04/2025) spiegelt seine persönliche Auffassung wider. 

In Köln sind zwei der drei Bundesnachrichtendienste ansässig, was die Domstadt als Forschungsstandort besonders attraktiv macht: Die 2024 am Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre gegründete Forschungsstelle Nachrichtendienste widmet sich der juristischen Erschließung des Nachrichtendienstrechts. Ihr Fokus liegt auf dem in- und ausländischen Nachrichtenwesen sowie verwandten Themen wie dem amtlichen Geheimschutz. Neben nicht-öffentlichen Beratungen bietet sie Publikationen, Veranstaltungen und Medieneinschätzungen an.  Weitere Informationen: https://fsnd.uni-koeln.de/ 

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Luca Manns, M. A., LL. M., hat BWL und Jura an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht studiert. Seinen Master of Laws (Digitalisierung) hat er daran anschließend im Oktober 2024 an der Universität zu Köln abgeschlossen. An der ReWi-Fakultät ist er heute Referent des Institutsdirektors sowie Geschäftsführer der Forschungsstelle Nachrichtendienste. Er koordiniert zum einen die interne Organisation des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre sowie dessen Third-Mission-Tätigkeiten, Presse- und Medienanfragen, Beratungen für Parlaments- und Regierungsstellen und verschiedene Veranstaltungsformate. Als Geschäftsführer der dort angesiedelten Forschungsstelle verantwortet er zudem die fachlichen Aktivitäten im Bereich des geheimen Nachrichtenwesens und verwandter Themen wie amtlichen Geheimschutz und Extremismusbekämpfung. 

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Die Leitung der Forschungsstelle Nachrichtendienste liegt in der Verantwortung von Prof. Dr. Markus Ogorek, LL. M. (Berkeley), Att. at Law (NY). Im Frühjahr 2020 übernahm er als Direktor die Leitung des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität zu Köln, wo er selbst 2012 habilitiert wurde. Zudem ist er Beauftragter für das deutsch-französische Jurastudium (Köln/Paris I-Sorbonne). Markus Ogorek forscht insbesondere zum Verwaltungs- sowie zum Staats- und Verfassungsrecht. Für seine Lehrformate wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Fellowship für Innovationen in der digitalen Hochschullehre des Landes Nordrhein-Westfalen (2021), dem Lehrpreis der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln (2023) sowie dem Kölner Universitätspreis für Lehre und Studium (2024). Darüber hinaus ist Markus Ogorek Herausgeber öffentlich-rechtlicher Publikationen und als Berater tätig – sowohl für Presse und Medien als auch im parlamentarisch-politischen Umfeld sowie in ausgewählten verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten.