Damit ab dem ersten Tag alles sitzt!
VON KÖLNALUMNI
Im KISS wird der medizinische Ernstfall erprobt. Studierende der medizinischen Fakultät erhalten hier die Möglichkeit, das theoretische Wissen im Umgang mit Patient:innen praktisch anzuwenden und sowohl Standardsituationen als auch komplizierte Herausforderungen rund um den Klinikalltag zu trainieren. Wir haben uns mit KISS-Gründer und -Leiter Dr. Christoph Stosch getroffen.
„Frau Laue im ersten Zimmer hat akute Bauchschmerzen. Im nächsten Raum liegt Herr Müller in einer palliativen Situation und weiter hinten stehen wir kurz vor einer Zwillingsgeburt. Heute ist ganz schön was los.“ Mit diesen Worten begrüßt uns Christoph Stosch im Eingangsbereich des KISS. Nur sein Lächeln verrät, dass das vielleicht nicht ganz die Wahrheit – aber der Realität dicht auf den Fersen – ist.
Das innovative Zentrum wird von einem Team aus zwei Ärzt:innen, vier Fachkräften der Intensiv- und Anästhesiepflege, einer Fachkraft für Krankenhaushygiene, einem Theaterpädagogen sowie rund 25 studentischen Hilfskräften geführt. Das Skills Lab stellt bei der praktischen Ausbildung im Medizinstudium an der Uni Köln ein absolut unverzichtbares Element dar: Hier werden auf drei Etagen mit 35 Lernsimulations-, Übungs- und Seminarräumen zahlreiche Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote sowohl für medizinische als auch für weitere Berufsgruppen realisiert.
Sowohl Frau Laue als auch Herr Müller sind Puppen – und befinden sich beide in real gestalteten Krankenzimmern inklusive Krankenbett, Gerätschaften und dem ganz besonderen Charakter, den man aus Krankenhäusern eben so kennt. Umringt von einer Gruppe Studierender wird gerade diskutiert, wie das weitere Vorgehen mit dem jeweiligen Krankheitsbild und -verlauf aussehen soll. Die Stimmung ist professionell ernst, denn das Training für den künftigen Berufsalltag wird hier auch so behandelt.
Die sogenannten Patientenräume bieten die Möglichkeit, Sequenzen in Bild und Ton aufzuzeichnen. Ob beim Einzelgespräch, das zum Überbringen einer Diagnose dient, oder als Team beim Reanimationstraining – das Vorgehen kann live beobachtet, dokumentiert und im Anschluss konstruktiv bewertet werden. Lernerfolge stehen im KISS an erster Stelle und ein kritisches Feedback wird als einer der stärksten Lernanreize gesehen. Einige der Übungsräume sind außerdem mit Einwegspiegeln versehen, wodurch ein realitätsnahes Training ohne ablenkende Beobachter:innen sowie ein 360°-Feedback gewährleistet werden können.
Während des Rundgangs erläutert Christoph Stosch, dass mittlerweile rund 60 Schauspieler:innen zur Verfügung stehen, die in die Rolle von Patient:innen schlüpfen. Die professionellen Simulationspatient:innen werden darauf trainiert, Behandlungssituationen realitätsnah darzustellen. Dies bietet den Studierenden die Möglichkeit, vor dem echten Einsatz am Krankenbett kommunikativ schwierige Situationen zu trainieren – also neben der üblichen Anamnese auch die Aufklärung über Erkrankungen und Operationen, das Überbringen schlechter Nachrichten oder den Umgang mit kultureller Vielfalt. Der Umgang mit Fehlern ist hier wichtiger Bestandteil aller Trainings. Simulationspatient:innen werden beispielsweise in Kursen der Psychiatrie, Psychosomatik, Chirugie und Gynäkologie eingesetzt, aber auch in der Vorbereitungswoche auf das Praktische Jahr (PJ) oder im Notfallszenarientraining für Anästhesie und Intensivmedizin. Dabei ist der Anspruch und das übergeordnete Ziel des KISS laut Stosch ganz klar: „Wir wollen Kompetenzen vermitteln, die an Tag 1 des Berufslebens wirklich gekonnt werden müssen. Damit ab dem ersten Tag alles sitzt!“
Gelerntes Wissen und Fertigkeiten auf klinische Situationen anzuwenden, ist sicherlich eine der größten Herausforderungen für angehende Ärzt:innen. Kurz vor dem PJ bietet das KISS die Möglichkeit, sich auf den ärztlichen Alltag vorzubereiten. Der gesamte Flur im ersten Stock imitiert dann eine Krankenstation, auf der die Studierenden lernen können, was schon zwei Monate später von ihnen verlangt wird: beispielsweise eine Visite im Krankenhaus. Hinter jeder Tür verbirgt sich eine komplett andere Krankengeschichte, die im Verlauf einer ganzen Woche erlebbar gemacht wird. Kommunikatives Handeln und berufsadäquates Verhalten werden in einen Zusammenhang gebracht und bereiten so auf den ärztlichen Alltag vor.
Während wir an weiteren Räumen vorbeilaufen, in denen Studierende in Kleingruppen Erste Hilfe an lebensechten Puppen üben, passieren wir auch Übungszimmer, in denen Studierende einzeln arbeiten können. Zu beobachten ist hier eine Studentin, die konzentriert die Herzauskultation – das Abhören des Herzens – an einer weiteren Übungspuppe trainiert. Stosch erklärt, dass bei dieser Puppe unterschiedliche Herztöne eingestellt werden können: „vom normalen Herzton eines gesunden, jungen Menschens bis zur komplizierten Herzerkrankung.“
Auf dem Weg begegnen wir einer Kollegin aus dem KISS-Team, die in der Hebammenausbildung tätig ist. Sie ist gerade unterwegs in den Sonoraum, „um eine neue Kollegin auszupacken“. Zusätzlich zu den bisherigen Puppen, an denen vor allem die Abläufe bei Ultraschall-Untersuchungen des Bauchraums geübt werden können, wurde gerade eine hochschwangere Ultraschall-Puppe angeschafft.
Im KISS ist ebenfalls die Geburtspuppe Lucina tätig, die im Gegensatz zur echten Patientin „am Tag mehrfach und in Echtzeit ihr Kind gebären kann“, so Stosch. Lucina ermöglicht, die Grundlagen und Komplikationen einer Geburt am Simulator zu erleben. Im Fokus dabei stehen die Handgriffe während eines Geburtsvorgangs sowie die wichtigsten Parameter für das Monitoring von Mutter und Kind. Da auch komplizierte und seltene Lagen des Kindes eingestellt werden können, wird dieses Angebot gern auch von berufserfahrenen Kolleg:innen aus der Geburtshilfe für Einzelübungen gebucht.
Im Erdgeschoss angekommen, wird es ein wenig gespenstisch, aber in erster Linie beeindruckend. Hier befinden sich die Narkose- und OP-Räumlichkeiten. Wir betreten zuerst den Narkoseraum und unser Blick fällt auf eine Patientenpuppe im Scheinwerferlicht – zwischen Monitoren und Geräten liegt sie bereit für das, was im KISS Narkosesimulation genannt wird. Am Full-Scale-Simulator kann tatsächlich der komplette Ablauf einer Narkoseeinleitung geübt werden: Vom Anschließen an den Monitor bis zum Umgang mit dem Narkosegerät wird alles durchgespielt, auch Narkosezwischenfälle können im Team geübt werden. Die Puppe auf dem OP-Tisch wird von einem Nebenraum aus (hinter Spiegelglas) gesteuert. Je nach Symptomen und verabreichtem Narkosemittel reagieren die Monitore und die Trainingsgruppe muss entsprechend handeln.
Unmittelbar daneben befindet sich ein vollausgestatteter OP-Raum, in dem unter anderem die Unterscheidung verschiedener OP-Instrumente geübt wird. Aber auch das richtige Verhalten am Tisch, das Nähen an Schweinebeinen oder die korrekte Lagerung von verkabelten Patient:innen können hier trainiert werden. Neben normalen OP-Situationen werden auch ausgefallene Notfall-Szenarien geübt. Christoph Stosch berichtet von einem Massenszenario, das gemeinsam mit der Werksfeuerwehr und der Notfallkoordination der Uniklinik durchgespielt wurde: eine Gasexplosion im OP – eine Übung mit Feuerwehr, Ärzteteam, Schauspielpatient:innen und der OP-Puppe in einem vollkommen verrauchten Raum. Diese Realität wurde im KISS bis ins kleinste Detail durchgespielt – denn auch auf solche interprofessionellen Szenarien müssen sich angehende Ärzt:innen, Pflegepersonal und Mitarbeitende der Feuerwehr gemeinsam einstellen.
Am Ende der Führung kommen wir zum KISS-Café, in dem Studierende kickern, lesen und sich austauschen. Am Counter können Räume gebucht, aber auch medizinische Geräte wie Augen- und Ohrenspiegel ausgeliehen werden. Gerade werden kleine Koffer neu bestückt, die die Studierenden zum Üben von Nähen oder Spritzen mit dem jeweiligen Equipment ausleihen können.
Das KISS meint es ernst damit, künftige Gesundheitsprofis mit innovativen Lehrmethoden und Simulationen optimal auf reale Herausforderungen vorzubereiten und medizinische Szenarien erlebbar zu machen: „Patientensicherheit ist unsere Passion. Wir schaffen hier einen „Safe Space“, in dem die Lernenden in sicherer Umgebung Kompetenzen aufbauen, die letztlich den Patientinnen und Patienten zugutekommen“ sagt Christoph Stosch, als wir am Ende unserer Tour angekommen sind.
3.500 Studierende der Humanmedizin, Zahnmedizin, Pflegewissenschaft und Hebammenwissenschaft sowie ca 2.500 Mitarbeiter:innen des Universitätsklinikums Köln werden jährlich im KISS ausgebildet. Im Jahr 2003 als kleines Projekt mit geringer Ausrüstung und wenigen Mitarbeitenden gestartet, bewegt sich das KISS mittlerweile auf höchstem technischen Niveau und ist zertifiziert durch den Ausschuss für Praktische Fertigkeiten der deutschsprachigen Gesellschaft für Medizinische Ausbildung. Außerdem haben das KISS und seine Mitarbeiter:innen mehrfach Auszeichnungen erhalten, u. a. für innovative Wissensvermittlung im Projekt „Escape Room“ und Lehrpreise der Medizinischen Fakultät bzw. der Universität zu Köln.
Med-Alumnus Dr. h. c. Christoph Stosch, MME (*1966) hat nach einer Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger sein Studium der Humanmedizin in Köln, Bern und Johannesburg (1989-96) und postgraduiert den Master of Medical Education (2011 in Heidelberg) absolviert. Er ist seit 2000 Referent für Lehre, Studium und Studienreform an der Medizinischen Fakultät und seit 2003 Leiter des Kölner Interprofessionellen Skills Labs und Simulationszentrums.