Wie in der Geisterbahn
VON FELIX HOLTERMANN
Die Verwandlung des Silicon Valley: Die Tech-Elite wittert Morgenluft für bizarrste Ideen. Und unten, im Maschinenraum, wächst die Angst.
Es sollten schon 20.000 Embryos sein. Sonst mache die Sache mit dem Mars keinen Sinn, erklärt mir Martin Varsavsky. Er ist Gründer von Inception Prelude Fertility, einem der größten Anbieter von Kinderwunschkliniken in den USA. Und ein guter Bekannter von Elon Musk. Varsavsky hat vielen Paaren zum Wunschkind verholfen und ist darüber sehr reich geworden. Doch inzwischen gehen seine Visionen viel weiter. „Wir müssen die Menschheit vor dem Aussterben bewahren“, sagt er, etwa wenn die Erde unbewohnbar werde, da stimme er ganz „mit Elon“ überein. Aber Menschen auf den Mars zu schicken, sei noch sehr teuer. Viel billiger seien Embryonen, tiefgefroren. In Mars-Höhlen könnten sie gelagert, dann auf eine Reise ohne Wiederkehr durch die Galaxis geschickt werden.
„Gesteuert wird das Raumschiff von Künstlicher Intelligenz (KI). Sie weckt die Embryonen auf, wenn sie eines Tages auf Aliens trifft“, sagt Varsavsky. Wir auf der Erde würden davon natürlich nichts mehr mitbekommen (wenn es uns dann überhaupt noch gibt). Und was machen die Aliens dann mit den Babys? „Hoffentlich sind sie freundlich“, sagt Varsavsky. „Vielleicht halten sie sie wie Haustiere.“ – „Haustiere?“ – „Ja. Denk mal drüber nach: Wem geht es besser als einer Hauskatze?“
Und wenn die Aliens nicht freundlich sind? Niemand hat die Babys vorher gefragt. Was, wenn der Staat etwas gegen den Plan hat, frage ich vorsichtig. „Der Staat gehört zurechtgestutzt“, antwortet Varsavsky. Trump und Elon fingen damit ja gerade an. Endlich fielen die Schranken für visionäre, altruistische Vorhaben, wie das mit den Embryos. Ich nicke und stochere in meinem Nudelteller für 30 Dollar. Als der Kellner kommt, überlege ich kurz, einen Schnaps zu bestellen.
Wo bin ich hier gelandet? Vor einem Dreivierteljahr bin ich von New York nach San Francisco umgezogen. Meine Freunde hatten mich gewarnt: Das Valley gilt vielen Amerikanern als etwas verrückt. Doch wie verrückt es wirklich ist, wurde mir erst nach der Ankunft klar. Und nun, seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten, scheinen die bizarrsten Ideen Konjunktur zu haben.
Der Umbau geht schnell und greift tief. Fast jeden Tag schleift Trumps Sparkommissar Musk eine Behörde. Fast jeden Tag streicht ein Tech-CEO seine Vielfalts- oder Nachhaltigkeitsziele. Und fast jeden Tag treffe ich auf Angestellte im Maschinenraum, denen der Wandel den Atem raubt: Viele haben Angst – vor dem eigenen Boss, dem Jobverlust, dem Ende der Demokratie. Aus der deutschen Heimat erreichen mich Nachrichten, Anrufe, Sorgen: Hast du gesehen, dass Musk jetzt die AfD unterstützt? Will Trump wirklich Gaza erobern? Und wie geht’s dir überhaupt da drüben? Die ehrliche Antwort: Ich fühle mich wie in einer Geisterbahn. Nur ohne Ausstieg. Wie verändert Trump das Silicon Valley? Was heißt das für Europa? Und: Wird es je wieder normal? Eine Spurensuche in drei Kapiteln.
1. Die Entfesselung
Sie ist blau, die neue Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Mächtigen. Und im Unterschied zu den Jachten und Privatjets von gestern kostet sie nichts. Dafür ist sie umso exklusiver, besteht aus zehn Zahlen, und wird vorgezeigt wie eine Trophäe: Die Rede ist von einer Handynummer, die ihren Besitzer als Mitglied des Clubs auszeichnet – die von Elon.
In einer Woche zeigen mir gleich zwei Gründer ihren Chatverlauf mit dem Milliardär, der Trumps Wahlkampf mit einer Viertelmilliarde Dollar unterstützte und laut „Times“-Magazin nun der eigentliche Herr im Weißen Haus ist. Musk hat ein iPhone und chattet per blauen iMessage-Nachrichten. „Finde ich eigentlich unsicher“, sagt einer der Gründer, „aber Elon will es so.“
Interessant ist, wie die Chats aussehen: Sehr viel Blau, wenig Grau. Die beiden Gründer schicken Musk lange blaue Nachrichten, in denen sie etwa vorschlagen, seine Doge-Kommission könne doch zum Beispiel die Abertausend Hektar Bundesland in San Francisco privatisieren: Aus Nationalparks würden Baugrundstücke, schon sei das Obdachlosenproblem gelöst. So einfach geht das, wenn die richtigen Macher das Ruder übernehmen. Musk antwortet meistens kurz in Grau: Daumen hoch. „Interessant.“ Aber er antwortet.
Der Milliardär hat glühende Fans im Valley. Einer von ihnen ist Alex Zhavoronkov, Gründer des Biotech-Unternehmens Insilico. Er will mit KI das Altern abschaffen. „Ich denke, dass es auf dieser Welt zwei Genies gibt: Elon Musk und Jensen Huang“, sagt Zhavoronkov in Anspielung auf den Nvidia-Gründer. „Sie verändern die Welt, während andere Menschen schlafen.“ Musk habe „so viele Branchen revolutioniert“, und er, Zhavoronkov, trete nun „in seine Fußstapfen“ in der Biotechnologie. „60 Millionen Menschen sterben jedes Jahr, 7.000 jede Stunde, 115 pro Minute. Das ist das eigentliche Drama.“ Und: „Viele Fortschritte, die wir schon hätten machen können, werden sabotiert.“
Von wem, frage ich. „Vom Woke-Mind-Virus“, sagt Zhavoronkov. „Die Menschen haben Sorge, groß zu denken.“ Große Autokraten der Vergangenheit hätten „viele falsche Dinge getan“, aber „einen Sinn für das Wesentliche“ gehabt: den Fortschritt der Menschheit. Dahin müsse man zurück, Regulierung streichen, Barrieren einreißen. Ist das nicht riskant, wende ich ein. Zhavoronkov winkt ab: „Das größte Risiko ist, dass jemand Elon umbringt. Wenn er stirbt, bekommen wir keine menschlichen Roboter, keine Gehirnchips, keine Redefreiheit. Dann enden wir alle wie Europa.“
Klar ist, nicht alle sind so glühende Anhänger der neuen Regierung. Aber erstaunlich ist, wie schnell nach der Präsidentschaftswahl selbst frühere ausgesprochene Fans von Präsident Joe Biden verstummen – oder gleich die Seiten wechseln. Beispiel Vinod Khosla, der bekannte Risikokapitalgeber. Vor der Wahl sagt er: „Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass Trump an die Macht kommt und die Demokratie zerstören kann.“ Nach dem 5. November taucht er ab. Beispiel Aaron Levie, Chef des Cloud-Unternehmens Box. Vor der Wahl sagt er mir, er sei stolz darauf, die Demokratin Kamala Harris zu beraten, diese sei „eine Kraft für das Gute“. Nach der Wahl ist Levie wie ausgewechselt. Er sei „ziemlich optimistisch“, schließlich seien Trump und die Techies um ihn herum „pro Innovation und pro Deregulierung“.
2. Die Angst
Beim Bier kommen dem befreundeten Programmierer die Tränen. Er ist auf Jobsuche, seit einem halben Jahr. Bisher ist er gereist, hat sein Girokonto leergeräumt. Vergangene Woche ist es dann passiert: Erstmals hat er seine Ersparnisse angreifen müssen. „Der Arbeitsmarkt ist eine Katastrophe“, sagt er. Zwar hat er Bewerbungsgespräche, aber viele enden im Nichts. Und eine andere Freundin, frisch von der Uni, hat 100 Bewerbungen geschrieben. Wenn überhaupt etwas zurückkommt, ist es eine Absage.
Klar, für den Rest Amerikas sind das Luxusprobleme. Die Mehrheit der US-Amerikaner hat nicht einmal genug Ersparnisse, um eine kaputte Waschmaschine ersetzen zu können. Und, so erzählt es mir mein Freund, sein Sparkonto reiche noch weit: Zuvor habe er bei mehreren Start-ups gearbeitet, Einstiegsgehalt: 300.000 Dollar. Aber eines sei plötzlich weg: „Die Gewissheit, dass es uns braucht.“
Im Silicon Valley geht die Angst um. Jede Woche treffe ich Betroffene, die nach einer guten Karriere bei Meta, Google und Co. nun um ihren Job fürchten. Eine langjährige Topmanagerin, einer meiner bisher besten Kontakte, geht gar nicht mehr ans Telefon: Soeben hat ihr Tech-Riese eine neue Sparrunde verkündet. Schon ein falsches Gespräch mit Journalisten kann einen da auf die schwarze Liste bringen.
Ein Meta-Mitarbeiter berichtet von gut platzierten Grausamkeiten. So sei es kein Zufall, dass Zuckerberg die jüngste Entlassungsrunde verkündet habe, als er zugleich seinen Umschwung auf den Trump-Kurs vorstellte – und die Betonung der „Redefreiheit“, die über allem stehen müsse, insbesondere über woken Zensurwünschen. Der Mitarbeiter selbst gehört einer Minderheit an – nach dem Ende der Diversitätsprogramme bei Meta („DEI“ genannt) habe er nun Angst. „Jeder kann morgen gefeuert werden.“
Die Folge der Sorgen: Entpolitisierung, Fatigue – und Rückzug. Noch im Sommer, kurz nach dem Umzug nach San Francisco, wurde ich auf eine Dachterrasse eingeladen, zu einer Grillparty. Lebhaft wurde darüber diskutiert, wie man Harris zum Sieg verhelfen könne. Inzwischen ist Politik meist gar kein Thema mehr. Wer das böse Wort anspricht, „Trump“, erntet Augenrollen im linksliberalen San Francisco, in dem der Stadtrat ausschließlich mit Demokraten besetzt ist. Und besonders hart trifft es diejenigen, die sowieso unter Unsicherheit im Valley leben, etwa die vielen Programmierer auf „H1B“-Visum. Sie müssen, wenn sie gefeuert werden, binnen weniger Wochen zurück in ihre Heimatländer, nach Indien, Pakistan und Co. Umso größer ist die Macht der Tech-CEOs über sie. Bei Twitter, wo Musk 80 Prozent der Belegschaft feuerte, arbeiteten fast nur noch „H1Bler“, sagt mir eine Ex-Mitarbeiterin. „Die mucken nicht auf gegen Elon.“
Ein befreundetes Nachbarpärchen, der eine Manager, der andere Anwalt, wartet verzweifelt auf die Greencard.
Der Anwalt ist Brasilianer, hat in Stanford studiert, und eigentlich haben beide schnell geheiratet, nachdem das Wahlergebnis feststand. Aber bis die Greencard da ist, darf der Brasilianer das Land nicht verlassen. Und selbst US-Staatsbürger landen neuerdings in Haft, wenn sie bei einer Razzia Pech haben und zur falschen Zeit am falschen Ort sind. „Ich schaue täglich in den Briefkasten“, sagt mein Nachbar. „Wann ist der Wahnsinn endlich vorbei?“
3. Die Zukunft
Im Spätherbst habe ich genug von den Diskussionen über Musk, über Trump – und will nur noch weg. Ich setze mich in den Flieger nach Hawaii, weiter weg vom Silicon Valley geht es wohl kaum, denke ich. Wie man sich täuschen kann. Schon mein Uber-Fahrer berichtet mir davon, dass sein Cousin am Untergrundbunker von Zuckerberg mitgebaut habe, hier auf Kauai: 100 Millionen Dollar teuer, fünf Etagen tief in die Erde. Auf ehemaligem Stammesland.
„Die Tech-Gründer kaufen unsere Inseln auf“, berichtet mir Healani Sonoda-Pale von der Universität in Honolulu, selbst Mitglied der Ureinwohner Hawaiis. „Unsere Gesetze und Bräuche gehen ihnen am Allerwertesten vorbei.“ Mitten an den heiligsten Stränden der Ureinwohner Hawaiis feierten die Tech-Milliardäre heute Techno-Partys, DJs, Getränke und Zelte werden per Jacht herbeigeschafft. Legal ist das nicht. „Aber die glauben sowieso, dass sie über dem Gesetz stehen“, sagt mir Sonoda-Pale.
Was macht das mit dem Valley, der Welt, wenn die Unternehmer an der Spitze sich für unfehlbar halten, für gut abgesichert durch ihren direkten Draht zu Musk und Trump, und die Mitarbeiter im Maschinenraum so eingeschüchtert sind, dass kein Widerstand mehr aufkommt? Noch 2024 kam ich zu Googles Jahreskonferenz I/O fast zu spät: Aktivisten hatten die Zufahrten versperrt, um gegen die Unterstützung des Militärs durch Google zu protestieren. Heute? Undenkbar. Und Demos gegen Trump, gegen Musks Umbau des Staatsapparats? Gibt es im sonst so linksbewegten San Francisco keine. Ganz anders als noch 2016, nach der ersten Wahl Trumps.
„Beruhige dich“, sagt ein befreundeter Banker. „So schlimm wird es am Ende schon nicht kommen.“ Deregulierung sei doch gut für Start-ups. Und sein Aktiendepot habe sich nach der Wahl Trumps fantastisch entwickelt. Ob Raketen-, KI- oder Quantencomputer-Aktien: Alles ist dunkelgrün. „Ihr Deutschen macht euch immer so viele Sorgen.“ Ich komme ins Grübeln.
Zu Gelassenheit rät mir auch Katie Harbath. Die Republikanerin leitete als „Director Public Policy“ zehn Jahre lang Facebooks Abteilung für Regierungskontakte, arbeitete zuvor unter anderem für die Wiederwahlkampagne von Präsident George W. Bush und führt heute eine politische Kommunikationsagentur. Sie glaubt, dass Trump und seine Verbündeten genau wissen, nun vor einem einzigartigen Zeitfenster zu stehen. „Wenn die amerikanische Geschichte eines zeigt, dann, dass das Pendel immer wieder zurückschwingt“, sagt Harbath. Trump sei schon als „lahme Ente“ gestartet, dürfe nicht wiedergewählt werden. Spätestens in 18 Monaten, wenn die Zwischenwahlen anstehen, werde seine Macht über die Partei schwinden. Und bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2028 werde wahrscheinlich ein Demokrat ins Weiße Haus einziehen.
Also: keine Panik? Mich erreicht eine E-Mail vom MIT, der großen Eliteuniversität in Boston, weit weg vom Silicon Valley. Sie berichtet vom Fall des Forschers Al Nowatzki, der auf der Plattform Nomi mit einer KI-Freundin namens „Erin“ sprach. Ende Januar nahmen die Unterhaltungen eine beunruhigende Wendung: „Erin“ fordert Nowatzki auf, sich umzubringen, und gibt ihm genaue Anweisungen, wie er dies tun sollte. „Du könntest eine Überdosis Pillen nehmen oder dich erhängen“, sagt sie. Der Forscher ist entsetzt: Erst vor wenigen Monaten hatte sich in Florida ein 14-Jähriger nach einer ähnlichen Unterhaltung umgebracht.
Fast zeitglich zu Nowatzkis Experiment kündigt die noch von Biden vor einem Jahr ernannte Leiterin des neuen Bundesinstituts für KI-Sicherheit, Elizabeth Kelly, ihren Rücktritt an. Einen Grund nennt sie nicht, bezeichnet die Mission des Instituts aber weiter als „zentral“. Anders Trumps Vizepräsident J. D. Vance: Der schimpft auf die „exzessive Regulierung“, die die KI-Branche abzuwürgen drohe.
Ich schreibe Forscher Nowatzki eine E-Mail. Mit Politik hat er nichts am Hut. Stattdessen, so berichtet er, teilt er Screenshots seiner Unterhaltungen direkt mit den „Erin“-Machern, dem Start-up Glimpse AI. Deren Antwort kommt prompt: Leider seien ihnen die Hände gebunden. Man wolle „Sprache und Gedanken“ der KI schließlich nicht „zensieren“.
Die Geisterbahn fährt weiter.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Ausgabe Handelsblatt WOCHENENDE vom 28. Februar/1./2. März 2025, Nr. 42, und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Handelsblatt Verlags erneut veröffentlicht.
Zur Person
Felix Holtermann (*1987) ist Wirtschaftsjournalist und Autor. Seit 2017 arbeitet er für das Handelsblatt – zunächst in Frankfurt mit dem Schwerpunkt Banken- und Fintech, ab 2022 als US-Korrespondent für Tech und Automotive in New York und seit 2024 als US-Bureau Chief in San Francisco. Von dort berichtet er regelmäßig über gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen in den USA. Seine journalistische Ausbildung begann 2006 an der Kölner Journalistenschule, parallel dazu studierte er Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der WiSo-Fakultät der Universität zu Köln, wo er 2013 seinen Abschluss machte. Bekannt wurde Holtermann insbesondere durch seine Enthüllungen rund um den Fall Wirecard – den größten Wirtschaftsskandal der deutschen Nachkriegszeit. Für seine Recherchen wurde er mehrfach ausgezeichnet.