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Fehler machen und daraus lernen

Von Marijan Kojić

Dana Pietralla und Deniz Tuzsus, beide Absolvent:innen der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Uni Köln, haben das Start-up paged gegründet. Sie wollen eine neue Perspektive auf das Thema „Digitale Inklusion“ etablieren. Ein Gespräch über das Starten und was es braucht, um etwas Neues zu beginnen.

In einer Fortbildung zum Thema Webgestaltung habt ihr festgestellt, dass digitale Angebote für viele Menschen nur eingeschränkt nutzbar sind – etwa weil sie eine Sehbehinderung haben. Eure Software ermöglicht Nutzer:innen, Webinhalte an ihre Bedürfnisse individuell anzupassen. Wann habt ihr entschieden, aus eurem Projekt ein Unternehmen zu machen?

Dana: Es war ein schleichender Prozess. Zuerst haben wir einfach probiert, etwas in diese Richtung zu machen, die konkrete Idee für unser Produkt gab es anfangs noch nicht. Wir wollten unseren Forschungshintergrund in Kognitiver Psychologie und IT bzw. künstlicher Intelligenz nutzen, um digitale Angebote zu verbessern.

Deniz: Das erste Mal, dass wir uns damit präsentiert haben, war der „Startup Your Idea Contest“ 2021 vom Gateway der Uni Köln.

Dana: Wir haben damals zwar keinen Preis gewonnen, aber sind in wertvollen Kontakt zum Gateway und zu anderen Gründer:innen gekommen. Wir haben sehr positives Feedback erhalten, das hat uns bestärkt, weiterzumachen.

Als ihr schließlich gegründet habt, wart ihr noch im Studium bzw. mitten in der Promotion – ganz schön anstrengend für den Start.

Dana: Das war eine herausfordernde Zeit. Auf der anderen Seite waren es für mich zum Glück nicht mehr viele Kurse. Deniz hat nach wie vor die Doppelbelastung mit der Promotion.

Deniz: Das Gute daran war und ist, dass der Uni-Kontext auch Raum zur Entfaltung bietet. Wir waren nicht fertig mit Studium und Promotion und hatten nicht den Druck, dass unser Start-up sofort funktionieren muss. Wir sind Schritt für Schritt gegangen. Als die ersten Kunden kamen, war klar: Das kann etwas werden!

Welche Hindernisse musstet ihr zu Beginn überwinden?

Deniz: Nicht jede Rückmeldung war positiv. Wir haben aber gelernt, bei negativem Feedback nicht sofort alles aufzunehmen und trotzdem an uns zu glauben.

Dana: Natürlich sind auch Zweifel dabei, wenn du dich mit deiner Idee, in der so viel Herzblut steckt, in der Öffentlichkeit präsentierst. Manchmal gibt es auch Phasen, in denen wir mit neuen Problemen konfrontiert sind, von denen wir erst mal nicht wissen, wie wir sie lösen können – das verunsichert. Da braucht man Vertrauen, dass es nichts gibt, was man nicht lernen kann.

vergrößern: Fotos: Thomas Arntz | KölnAlumni
Fotos: Thomas Arntz | KölnAlumni

Ihr habt beide eine psychologische Ausbildung. Was davon bringt ihr mit in die Entwicklung eures Produkts ein?

Deniz: Wir haben beide forschungsorientierte Psychologie studiert. Ich habe während des Studiums angefangen zu programmieren und habe mich mit IT, insbesondere mit künstlicher Intelligenz, beschäftigt.

Dana: Mein Schwerpunkt liegt im Bereich Kognitionswissenschaft, mit Fokus auf visueller Wahrnehmung: Wie nehmen wir Inhalte wahr? Wie nehmen wir Muster wahr? Außerdem haben wir beide das IT-Zertifikat an der Philosophischen Fakultät der Uni Köln erworben. Beides miteinander zu verknüpfen, wie jetzt bei paged, das fand ich spannend. Es macht viel Freude, unser Wissen aus der Forschung für die Welt nutzbar zu machen.

Was nehmt ihr aus der Zeit an der Uni mit?

Deniz: Wir wissen aus dem Studium, wie man etwas ausprobiert und Experimente durchführt. Wir machen auch heute weiterhin Experimente, nur halt am Markt. Über die Kontakte zu den IT-Dozent:innen haben wir auch unsere Web-Entwickler:innen gefunden.

Wo musstet ihr etwas dazulernen?

Deniz: Ich habe während meines Studiums nicht viel über Webentwicklung gelernt. Als wir mit paged gestartet sind, musste ich mir also schnell neue Dinge rund um dieses Thema beibringen.

Dana: Da ich mich mehr mit der Business-Seite beschäftige, waren das bei mir eher Themen wie Finanzen, Unternehmensaufbau – allgemein Betriebswirtschaft. Ich musste viel nachlesen, mich mit Videos schlau machen oder andere fragen, zum Beispiel die Start-up Coaches beim Gateway oder andere Gründer:innen. Gerade bei rechtlichen Fragen zu Patenten, Markenschutz oder der Rechtsform brauchten wir Hinweise, welche Themen wir klären müssen und welche Expert:innen uns weiterhelfen können.

Wie hat euch das Gateway sonst noch helfen können?

Dana: In der Beratung haben wir gelernt, wie man eine Idee weiterentwickeln kann und was genau es braucht, um ein Start-up zu gründen. Die Coaches haben uns auch bei der Beantragung von Fördergeldern weitergeholfen.

Deniz: Außerdem hilft der Austausch mit den anderen Gründer:innen sehr, den das Gateway möglich macht. Davon sitzen viele im Workspace des Gateway, die sich mit den gleichen Fragen beschäftigen – oder diese schon für sich gelöst haben.

Wie hat euch die Start-up-Welt aufgenommen?

Dana: Sehr wohlwollend, der Einstieg ist sehr einfach. Es gibt viele Möglichkeiten zu netzwerken und alle interessieren sich dafür, was man macht. Allein dieser Kontakt mit Gleichgesinnten, die alle eine eigene Idee verfolgen, hat uns weitergeholfen.

Netzwerken – so heißt es – sei in der Gründungsszene noch viel wichtiger als in anderen Bereichen. Ein Klischee oder wirklich hilfreich, um in diese neue Welt zu starten?

Dana: Der Kontakt mit Menschen öffnet Türen – das ist manchmal sogar wertvoller als Geld. Wenn du die richtigen Leute kennst, die dich platzieren, die dir wichtige Personen vorstellen, die dir interessante Kontakte empfehlen – das bringt dich weiter.

Deniz: Wir wurden positiv überrascht. Man weiß vorher nicht, ob der Besuch einer Veranstaltung etwas bringt. Manchmal erkennt man das erst Monate später. Als ob man eine Handvoll Samen auf eine Wiese wirft, dabei aber nicht weiß, was wo am Ende herauskommt.

Alle sind sich einig: Wir brauchen mehr Gründungen in Deutschland, gerade aus den Hochschulen heraus. Was muss sich ändern, damit es auch so kommt?

Dana: Vieles! Wir brauchen diversere Role-Models. Um es plakativ und überspitzt darzustellen: die alleinerziehende Mutter, der Teilzeit-Gründer, der Mensch mit Behinderung – sie alle können erfolgreiche Gründer:innen sein. Gründen ist nicht nur etwas für wenige Privilegierte.

Deniz: Role-Models, die z.B. auch aus der Humanwissenschaftlichen Fakultät kommen, sind schwer zu finden. In manchen Studiengängen gibt es keine „Route“ in Richtung Gründung. Vielleicht auch, weil man denkt, dass man dafür nicht ausbildet. Dabei ist es „learning by doing“! Fehler machen und daraus lernen – so ein Mindset müsste viel mehr Präsenz bekommen, auch an Hochschulen. Was noch hinzukommt: Risiko ist bei uns kulturell negativ behaftet. Und die meisten denken bei Start-ups an das Risiko. Wir begegnen oft der Haltung: Wenn ich da schon Arbeit investiere, dann muss es auch funktionieren.

Dana: Ich frage mich, welches Risiko die Leute meinen – in Deutschland gibt es viele Förderungen zur Unterstützung. Und selbst wenn es mit paged in zwei, drei Jahren zu Ende sein sollte, bleibt uns als Gewinn all das, was wir gelernt haben, all die Erfahrungen, all die Kontakte. Im schlimmsten Fall bewerben wir uns danach als Hochschulabsolvent:innen auf „normale“ Jobs. Unser eigenes finanzielles Risiko ist bislang überschaubar, denn wir haben erfolgreich Fördermittel einwerben können.

paged kann man als Impact-Start-up bezeichnen. Primär wollen solche Gründungen gesellschaftliche Veränderungen bewirken, es geht weniger um geschäftliche Potenziale.

Dana: Geld verdienen und gleichzeitig Gutes bewirken, das war für uns der beste Weg. Ich habe auch den Eindruck, dass ich als Unternehmerin anders wahrgenommen werde als eine Vertreterin eines Verbands oder einer politischen Initiative. Der Kontext ist einfach ein anderer, so schaffe ich eine andere Reichweite für unser Thema.

Was hat sich seit eurem Start verändert?

Dana: Wir positionieren uns inzwischen anders. Gestartet sind wir mit dem Thema „Digitale Barrierefreiheit“ und heute haben wir Neurodiversität im Blick – das ist ein viel weiterer Blickwinkel.

Deniz: Wir unterteilen Menschen nicht in welche mit oder ohne Behinderung. Es ist eher ein Spektrum mit einer gleichmäßigen Verteilung an Veranlagungen – dieser Vielfalt müssen digitale Angebote gerecht werden. Zum Beispiel können manche Menschen komplexe Inhalte besser lesend verstehen, andere benötigen dafür eher Video- oder Audioangebote. 
Da gibt es viel Aufklärungsbedarf.

Was hat euch zu dieser Neu-Positionierung veranlasst?

Dana: Seit unserem Start beobachten wir, dass viele das Thema Inklusion so verorten, als ob es dabei um Randgruppen ginge – und sie selbst gar nicht betrifft. Mit unserer neuen Positionierung wollen wir eine andere Perspektive etablieren: Es geht darum, Menschen in ihrer Verschiedenheit zu adressieren. Das ist ein Thema, das alle angeht – und in diesem Kontext auch ganz anders aufgenommen wird.

Marijan Kojić, Head of Communications & Events, Gateway Exzellenz Start-up Center

paged 
Dana Pietralla (*1996) und Deniz Tuzsus (*1992) gründeten 2021 gemeinsam das Kölner Start-up paged. Während des Studiums an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Uni Köln stellen sie fest, dass Millionen von Menschen Online-Angebote bspw. aufgrund einer Sehbehinderung oder unterschiedlicher Veranlagungen nur eingeschränkt wahrnehmen oder nutzen können. Sie beginnen mit der Entwicklung eines Software-Tools, das es Nutzer:innen erlaubt, die visuelle Darstellung von Webinhalten an ihre Bedürfnisse anzupassen – z.B. Schriftgrößen oder Farbkontraste zu verändern oder Bildinhalte automatisiert für Screenreader in Textbeschreibungen zu übersetzen. Mittlerweile hat das Team seinen Fokus erheblich erweitert: Sie setzen sich für einen barrierefreien Zugang zum Internet ein, der die kognitive Vielfalt aller Menschen berücksichtigt. Weitere Infos unter: www.paged.website 

Starthilfe auch für Alumni 

Das Gateway Exzellenz Start-up Center ist die Anlaufstelle für alle Gründungsinteressierten und Start-ups an der Uni Köln. Auch Alumnae und Alumni können bis zu fünf Jahre nach Abschluss die kostenlosen Angebote nutzen. Diese umfassen Gründungscoaching, Beratung zu Fördermitteln, Arbeitsplätze im neu eröffneten „InnoDom Cologne“ sowie ein Inkubator- und ein Accelerator-Programm. Darüber hinaus vermitteln Lehrveranstaltungen und Workshops Know-how zu Themen wie z.B. Entrepreneurship. Auf Networking-Events können zudem Kontakte in das Kölner Start-up-Ökosystem aufgebaut werden. Weitere Infos unter www.gateway-unikoeln.de