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Foto: Thomas Arntz | KölnAlumni
von Judith Freese

Immer etwas Neues starten

Ein Generationengespräch über das Jurastudium in den 1950ern und heute: von politischen Studierenden, dem unentwegten Kampf für die Menschenrechte und Neuanfängen im Leben.

Jedes Jahr im April und Oktober beginnen hunderte junge Menschen ihr Jurastudium an der Universität zu Köln (UzK). Mit dem Studienstart beginnt für die meisten ein neuer Lebensabschnitt, verbunden mit dem Umzug nach Köln, neuen Freundschaften und Eindrücken aus den ersten Tagen an der Universität. Einige Jahre, diverse Klausuren und Hausarbeiten später folgt dann der Start ins Berufsleben mit vielfältigen spannenden Möglichkeiten, juristisch zu arbeiten. Heute gestalten Alumnae und Alumni unserer Rechtswissenschaftlichen Fakultät an den verschiedensten Stellen die Gesellschaft mit und übernehmen Verantwortung.

Dazu gehören auch Gerhart Baum und Celina S. Lubahn ­Greppler. Beide studierten Jura an der UzK – ihr Studienstart liegt aber gut 60 Jahre auseinander. Das Studium in Köln war für sie eine prägende Zeit und der Startschuss für eine juristische Karriere, die mit gesellschaftlichem Engagement verbunden ist. Ebenso wie das Studium der Rechtswissenschaft und die Universität selbst, haben sich auch die Studierenden über die Jahre verändert. Jura-Erstsemester erwartet einiges: Sie werden an eine vollkommen neue Materie, eine Art zu denken und zu formulieren herangeführt. Dabei sind die Gründe, sich für dieses Studium zu entscheiden, so vielfältig wie die Studierenden selbst. Um herauszufinden, was Jurist:innen zu ihrem Studien- und Berufsstart bewegt – und wie es war, in den 1950ern und in den 2010ern an der UzK zu studieren, haben wir Celina S. Lubahn Greppler und Gerhart Baum zu einem Generationengespräch zusammengebracht. Das Gespräch führte Judith Freese, derzeit selbst Promovendin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät.

Warum haben Sie beide sich auf den Weg gemacht? Welche Ziele haben Sie mit dem Start ins Jurastudium verfolgt?

Gerhart Baum (GB): Es war eine düstere Zeit. Wir mussten unser Leben organisieren und waren voll beschäftigt mit dem Aufbau und den Fragen des täglichen Lebens, ohne die Muße, irgendwas Größeres zu planen. Ich habe in Nippes Abitur gemacht – und währenddessen viel hin und her überlegt zwischen Volkswirtschaft, Kunstwissenschaft und meinem Interesse für Politik. Mit Jura kannst du sehr viel anfangen, habe ich mir gesagt. Und: Mein Vater und mein Grossvater waren Anwälte.

Celina Lubahn S. Greppler (CG): Der Entscheidung, etwas zu starten, gehen ja immer schon viele Überlegungen und Erfahrungen voraus. Auf meinem Weg hatte ich mich entschieden, Völkerrecht zu studieren.

GB Wollten Sie das von Anfang an?

CG Ja. Eigentlich habe ich mich lange für den Weltraum inte­ressiert. Dann war in der Mittelstufe in unserem Englischbuch eine Abbildung hungernder Menschen, die in den Himmel blickten – darüber flog eine NASA-Rakete. Unter der Abbildung stand: „Wozu Menschen fähig sind.“ Das Bild traf einen Nerv. Im Heranwachsen reifte mein Eindruck, dass die Welt nicht in Ordnung ist. Für Weltraum war im Anblick so eklatanter Ungerechtigkeiten kein Platz mehr. Mit der Schule war ich schließlich zweimal in Oświęcim/Auschwitz, dort kam die Aussage mit Wucht erneut zum Tragen. Prägend für mein Interesse an staatlichem Handeln war auch mein Auslandsjahr in Argentinien. 2008 erhöhte die damalige Regierung die Steuern auf Exporte von Sojabohnen und Getreide per Dekret kurz vor der Ernte um fast 10%. Die Weltmarktpreise für Agrarprodukte waren damals aufgrund von Ernteverlusten in Russland und Südostasien, vor allem aber aufgrund von Lebensmittelspekulationen äußerst hoch. Dies führte zu einer noch angespannteren globalen Lage und dazu, dass bei uns das Essen knapp wurde. Das war sicherlich auch sehr bedeutsam für meinen Start ins Völkerrecht.

GB Mein Leben ist sehr stark von den Vereinten Nationen bestimmt worden. Ich war viele Jahre als Menschenrechtsverteidiger in diesem Rechtssystem unterwegs und wundere mich, dass die Aufmerksamkeit von Politiker:innen hierzulande so wenig auf die Vereinten Nationen gerichtet ist. Mit diesem Instrumentarium kann man so viel machen. Die UN-Charta ist die Weltverfassung!

Judith Freese (Foto: Thomas Arntz | KölnAlumni)
Gerhart Baum (Foto: Thomas Arntz | KölnAlumni)
Celina S. Lubahn Greppler (Foto: Thomas Arntz | KölnAlumni)

Herr Baum, inwiefern hat das Studium auch den Start in Ihre politische Karriere ermöglicht?

GB Ich habe es einfach gemacht. An der Hochschule habe ich mich dem Liberalen Studentenbund angeschlossen und wurde dessen Vorsitzender. Wir haben damals für das Studentenparlament kandidiert, gegen die Burschenschaften. Mein ganzes Leben ist bestimmt vom Kampf gegen Nazis und Rechtsextremisten. Das begann damals: Die alten Nazis waren überall und dagegen habe ich mich mit meinen Freunden engagiert. Weil uns das noch zu wenig war, gingen wir in die Partei. Wir haben die Kölner FDP auf reformliberalen Kurs gebracht und auch an der Uni eine Reihe von Veranstaltungen gemacht. Unter anderem eine in dem Haus, das heute die Studiobühne ist, zu der Frage: „Soll Deutschland sich wiederbewaffnen?“ Ein Riesentumult! Und dann kam das Jahr 1968 mit den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Hier in Köln haben wir uns auf die Schienen gesetzt und die Straßenbahn blockiert, wegen einer Fahrpreiserhöhung. Wir sind quasi von der Hochschule in die Gesellschaft gegangen.

Sie haben auch ein politisches Promotionsthema, Frau Lubahn Greppler. Denken Sie, dass Ihre Arbeit einen politischen Einfluss, zum Beispiel auf eine Gesetzesvorlage, haben kann?

CG Mein Promotionsthema ermöglicht mir nun beruflich doch noch das Entdecken mir neuer Welten. Und ja, im Grunde ist mit jeder Dissertation die Hoffnung verbunden, dass jemand dieses Buch liest und hinterher schlauer ist als vorher. Ich zeichne in meiner Arbeit nach, wie Europäer:innen mit Kulturgütern  anderer Nationen im 19. und 20. Jahrhundert umgegangen sind. Wir sollten gemeinsam weiter  reflektieren, was das für heutige Politik und vielleicht auch für heutiges Recht zu bedeuten hat.

Würden Sie beide sagen, dass Jura ein politisches Studium ist? Zieht es politische Menschen an?

GB Ja, ich würde sagen, in besonderer Weise. Das Handwerkszeug des Juristischen eignet sich besonders für die Politik.

CG Recht ist das Ergebnis von Politik, also der Ausdruck eines Wertesystems. Ich bin mir unsicher, ob Jura politische Menschen anzieht. Und das Jurastudium ist schon recht dogmatisch. Dabei kann das Recht auch anders aussehen. Es sah in der Vergangenheit anders aus und es sieht auf der ganzen Welt verschieden aus. Wir können alle gestalten, wie es in der Zukunft aussehen soll. Es ist eine politische Entscheidung.

Foto: Ayla Wisselinck | KölnAlumni

Wie kann man schon im Studium politisch aktiv werden?

GB Amnesty International ist zum Beispiel ein Ort, wo man viel bewirken kann. Ich bin aktuell in einer Obdachlosenhilfe engagiert. Jeder kann etwas in seiner Nachbarschaft bewirken, was ihn aus der bequemen Normalität des Lebens heraushebt. Ich bin nicht für ein Pflichtjahr wie Herr Steinmeier, aber ich bin für die freiwillige Übernahme von Pflichten.

CG Ich würde sagen: „Guckt euch um.“ Mein Startpunkt ist immer wahrzunehmen, dass es irgendwo Ungerechtigkeiten und Diskriminierung gibt. Das wühlt mich dann auf. Ein zweiter Schritt ist, die Emotion zu prüfen und zu überlegen, wie ich handeln kann.

GB Wir sind ja Träger:innen der Menschenwürde und leben in der glücklichen Situation eines freien Landes. Allein das ist schon ein Motiv dafür, sich den Menschen zuzuwenden. Ich war zwei Jahre lang Berichterstatter für die Menschenrechte im Sudan und habe der UN-Generalversammlung Listen von gefolterten Menschen vorgelegt. In vielen Fällen konnte ich die Folter nicht verhindern, aber ich konnte dafür sorgen, dass Menschen in ihrer Not wahrgenommen wurden. Die Menschenrechte sind ein riesiges Betätigungsfeld.

CG Waren Sie von der Institution auch ernüchtert? Von der Arbeit in der UN?

GB Bei der UN trifft alles aufeinander, wir haben auch mit den Gaunerstaaten verhandelt. Zum Beispiel in den 1990er Jahren: Zum 50-jährigen Bestehen der UN entwarfen wir eine Deklaration zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger, Human Rights Defenders. Sie sind weltweit für den Menschenrechtsschutz unverzichtbar. Sie sollen durch die Deklaration geschützt werden – und ihre Finanzierung von außen erlaubt. Das haben wir einstimmig hingekriegt. Wir wissen zwar, dass viele Staaten sich nicht daran halten, aber es ist immerhin der Maßstab. Wir wissen, dass gefoltert wird und sind trotzdem glücklich, eine Antifolterkonvention zu haben. Auch die Zehn Gebote werden nicht eingehalten.

CG Für mich erschien damals die internationale Politik als der Hebel, den wir betätigen müssen, und die UN als das dafür geeignetste Forum. Es gibt ein Programm, da treten zwei Jugenddelegierte der deutschen Delegation zu den UN bei. Ein Jahr lang durfte ich das machen und war in New York, in der Sozialentwicklungskommission und im dritten Ausschuss der Generalversammlung.

GB Das war mein Ausschuss!

CG Wir durften eine siebenminütige Rede in dem Ausschuss halten. Das ist eine unglaubliche Möglichkeit. Und gleichzeitig haben mein Kollege und ich dann eine Rede entworfen, die dem Auswärtigen Amt nicht gefallen hat. Dabei ging es doch genau darum, dass wir als Jugendliche unsere Stimme nutzen. Gegenwind in dem Moment zu erfahren, in dem man sich etwas traut – das kann für Engagement fatal sein. Vielleicht war die Frustration bei mir als junger Idealistin, die im ­großen New York zur UN durfte, größer, weil mein Wunsch, die Welt zu verbessern so stark war – meine Möglichkeiten und Kompetenzen aber viel beschränkter waren als bei Ihnen. Ein wichtiger Punkt beim Engagement ist ja durchaus, dass man eine Selbstwirksamkeit erfährt.

GB Ich bin als Politiker in den Bereich der Vereinten Nationen gegangen, als ich noch im Bundestag war. In Genf ist sechs Wochen lang ein Forum – aber ich bin auch außerhalb dieser Zeit in der Welt gereist. Der Politiker stieß auf die Welt der Diplomaten. So hatte ich mir eine Initiative überlegt – und alle guckten mich entsetzt an und sagten: „Herr Baum, das müssen wir vorher in der Europäischen Union abstimmen.“ Das war frustrierend. Als es mir mal zu bunt war, habe ich mit einem deutschen Diplomaten Folgendes gemacht: Wir haben Drittstaaten, zum Beispiel Ägypten und Mexiko, dazu motiviert, einen Antrag zu stellen, den eigentlich die Europäer hätten stellen müssen. Plötzlich saßen alle ganz erstaunt im Europäischen Rat und mussten sich mit dem Antrag auseinandersetzen. So etwas ist heute nicht mehr möglich. Die einstimmige Schlusserklärung mit dem Bekenntnis zur Unteilbarkeit und Universalität auf der letzten Menschenrechts-Weltkonferenz würden wir heute nicht mehr hinkriegen. Vielleicht könnten Sie Diplomatin werden, Frau Lubahn Greppler?

CG Ich habe lange damit geliebäugelt. Ich weiß aber nicht, inwiefern das mit meinem Leben kompatibel sein würde, dieses verpflichtende Umziehen alle vier bis fünf Jahre. Gerade begeistern mich sowohl die Wissenschaft als auch jene internationalen Organisationen, wie zum Beispiel der Internationale Strafgerichtshof, die die Kompetenzen haben, unmittelbar rechtlich zu wirken.

Gab es irgendein Erlebnis aus Ihrer Studienzeit, das Sie besonders „politisiert“ hat?

CG Als erstes fällt mir eine Situation in Saarbrücken ein: eine große Vorlesung, in der ein Professor Ehe und Familie im Grundgesetz erklärt hat. Ich fand sein konservatives Familienbild empörend, weil ich davon ein anderes Verständnis hatte. Zu dem Zeitpunkt war die Ehe noch nicht geöffnet und er hat sehr stark betont, dass das gut so ist und anders kaum auslegbar sei. Von Wandelbarkeit der Verfassung war zu dem Zeitpunkt keine Rede. Da habe ich mich genauso wie einige andere Studierende gemeldet. Das war im Grunde auch ein Generationengespräch.

Ein anderes Erlebnis: Ein Freund von mir hat dort eine Initiative für demokratiepädagogische Studienangebote an der Philoso­phischen Fakultät gestartet. Da hat dieser Professor ihm tatsächlich geschrieben, dass er Bedenken hat, dass das in die falsche Richtung geht. Mich hat schon damals schockiert, wie weit in einem ​
bürgerlichen Milieu rechtsstaatliche, demokratische Mechanismen hinterfragt werden. Das sieht man heute auch in Volksparteien in populistischer Art und Weise. Zum Beispiel, wenn der Generalsekretär der CDU beschleunigte Verfahren für Klimaprotestierende oder „Freibad-Straftäter“ fordert.

GB Reiner Populismus, ja Anbiederung. Diese Verfahren gibt es doch längst. Die Welt ist aus den Fugen und wir regen uns hier über ein Heizungsgesetz auf. Unsere Demokratie ist ernsten Bedrohungen ausgesetzt, die unterschätzt werden. Und das ist nicht nur die AfD. Wir haben eine wachsende Unterströmung von Systemverächtern, also von Menschen, die sich in diesem System nicht mehr wohlfühlen, die die Spielregeln in Frage stellen und behaupten, es gäbe keine Meinungsfreiheit. Das haben wir schon während der Coronapandemie gesehen. Jetzt ist es wieder die Flüchtlingsfrage. Es gibt immer einen Anlass, an dem sich Demokratieverächter festmachen. Der Generalbundesanwalt spricht von einer Radikalisierung der Mitte.

CG Ist die Krise für Sie auch eine Chance?

GB Einmal muss zur Eindämmung der Migration etwas geschehen, etwas Realisierbares und nicht ein Überbietungswettbewerb an Unmenschlichkeit. Krise bietet immer auch eine Perspektive. Man muss sich aber erst mal vor Augen führen, dass man in einer Krise ist und neue Kräfte sammeln muss.

CG Im Krisenmodus sind wir an der ein oder anderen Stelle wohl längst angelangt. Zumindest als ich noch jünger war, wurde mir immer vorgehalten, wir seien eine unpolitische Jugend.

GB Das wird jemand gesagt haben, der in einer hochpolitisierten Zeit jung war. Wir haben als junge Menschen zum Beispiel die Bühne des Kölner Schauspielhauses besetzt und eine Deklaration verlesen. Zum FDP-Parteitag habe ich Rudi Dutschke eingeladen und einen Antrag gestellt, dass er dort reden darf. Der Parteitag hat das voraussehbar abgelehnt. Aber wir hatten vor der Tür einen Wagen mit Lautsprecher, damit er seine Rede trotzdem halten kann. Wir waren damals in hohem Maße politisch und diskussionsfreudig. Deshalb kann ich die Aussage in gewissem Maße nachvollziehen. Die junge Generation muss unbedingt aktiver werden – heraus aus der bequemen, behaglichen Normalität.

Haben Sie Tipps für den Start ins Jurastudium?

CG Sich nicht vom bürgerlichen Vermögensrecht abschrecken lassen. Ich musste mich durch die eine oder andere Veranstaltung quälen. Aber die Methodik kennenzulernen und zu abstrahieren, ist spannend. In Saarbrücken hatte ich zuerst Philosophie und Jura studiert. Nach Köln bin ich gewechselt, weil es hier an der Uni so viele spannende Völkerrechtslehrstühle gibt.

GB Ich war auch nicht unbedingt erpicht, im Studium zu lernen, wie man einen Grundbucheintrag macht. Natürlich muss man sich ein bestimmtes Grundwissen aneignen. Dazu gehören neben der Methode auch die Grundprinzipien des Rechts. Man muss auch den Mut haben, das Gesetz in Frage zu stellen oder so auszulegen, dass es Gerechtigkeit schafft. Das Wichtigste, was ich im Studium gelernt habe und in meinem Leben immer wieder brauche, ist die Fähigkeit, Sachverhalte zusammenzufassen. Und man muss seinen Horizont auch außerhalb der Vorlesungen ständig erweitern – und sich auch in der Uni heraussuchen, was nicht Teil des Examens ist. Mich hat z.B. der große Rechtstheoretiker Hans Kelsen, der von den Nazis vertrieben wurde, sehr beeindruckt, als er zu Gastvorlesungen zurück an die Universität kam.

Foto: Thomas Arntz | KölnAlumni

Gibt es einen Ort an der Uni, der sinnbildlich für Ihr Studium steht?

GB Für uns war es das schöne, damals noch sehr moderne Hauptgebäude. Das war für mich die Universität.

CG Es ist bedrückend, dass Orte des Lernens landesweit nicht saniert werden. Aber es ist  schön zu wissen, dass Generationen vor mir durch dieselben Räume liefen.

Wie steht es heute um die Chancengleichheit an der Universität? Denken Sie, dass es sogenannte Arbeiterkinder immer noch schwieriger haben als Kinder aus einem Akademikerhaushalt?

CG Ich hatte das Privileg, mit einem Stipendium der Studienstiftung zu studieren. Es gab sogar 300 Euro Büchergeld im Monat. Das hat einiges erleichtert. Für mich als Kind aus einem nichtakademischen Haushalt war prägend, dass ich eben nicht auf Erfahrungen und Gespräche mit meinen Eltern aus ihren Studienjahren zurückgreifen konnte. Gerade in Jura gibt es einen gewissen Habitus, der mir bis heute etwas fremd ist.

GB Das gilt ebenso für Kinder von Eingewanderten. Meine Frau und ich sind in Kontakt mit einer befreundeten kurdischen Familie mit fünf Kindern. Die eine Tochter studiert Jura. Ihre Eltern sind überhaupt nicht in der Lage, ihr Studium zu begleiten. Sie erfahren selbst gerade erst, was unser Land und unser Recht geprägt hat. Die Kinder müssen alles selbst herausfinden. Oft wird die Regelstudienzeit dafür nicht ausreichen.

CG Vor dem Hintergrund ist besonders die Kopplung des BAföG an die „Regelstudienzeit“ problematisch. Wer sich erst noch andere Dinge zu Beginn des Studiums aneignen muss, braucht häufig länger als seine Mitstudierenden und sollte sich dafür nicht rechtfertigen müssen. Was mir geholfen hat, sind Begegnungen und Gemeinschaften an der Universität mit anderen Studierenden. Das fördert die Universität zum Beispiel durch Einführungswochen. Sie sollte aber auch architektonisch ansetzen und etwa im Hauptgebäude für mehr Aufenthaltsqualität sorgen, Orte der Begegnung schaffen.

Wie sieht es mit Frauen in der Rechtswissenschaft aus? Das Geschlechterverhältnis ist unter den Studierenden sehr ausgeglichen, aber die Professorinnen sind deutlich in der Unterzahl. In den großen Kanzleien sieht es mit dem Frauenanteil ähnlich schlecht aus. Wie können wir das ändern?

CG Dass wir 50:50 im Studium haben, ist immerhin eine große Errungenschaft. Wir müssen wagen, Stereotype und gesellschaftliche Erwartungshaltungen konsequent zu hinterfragen. Darüber hinaus müssen sich die Rahmenbedingungen auf dem Weg zur Professur bessern: Bei Forschungsstipendien dürfen Elterngeld-, Arbeitslosengeldanspruch und Rente nicht unter den Tisch fallen. Dazu sollten befristete und Teilzeitstellen im Mittelbau nicht die – allzu oft prekäre – Normalität darstellen. Deutlich mehr Tenure-Track-Professuren böten klarere Perspektiven. Weiterhin würden institutionalisierte Schnittstellen (etwa zwischen Hochschul- und Schullehre oder auch zwischen Forschung und fachlich verwandten Behörden) eine Absicherung auf dem Weg zur Professur bieten – inbesondere in der Postdoc-Phase.

GB Im politischen Geschäft habe ich jahrzehntelang miterlebt, wie die Parteien um mehr Frauen ringen. Oft weichen die Männer nicht freiwillig. Deshalb bin ich ein Anhänger der Quote. Allerdings stellen sich die Frauen in der FDP quer. Sie wollen nicht wegen ihres Geschlechts, sondern ausschließlich wegen ihrer Qualifikation und Eignung in Ämter gelangen. Den bloßen Verdacht eines Bonus als Frau finden sie demütigend. Das finde ich auch, aber das spricht nicht gegen die Quote. Das Ergebnis sind lediglich 20% Frauen unter den Abgeordneten. Ein positives Beispiel ist aber zum Beispiel der deutlich gestiegene Frauenanteil in der Justiz.

Wie blicken Sie auf den Berufseinstieg, Frau Lubahn Greppler?

CG Vor allem bei dem gegenwärtigen Fachkräftemangel in der Juristerei ist es ein Privileg, dort arbeiten zu können, wo die eigenen Fähigkeiten besonders gut untergebracht sind. Für mich ist die Promotion gerade eine geschenkte Zeit, in der ich eigene Schwerpunkte setzen und frei forschen kann.

Herr Baum, was ist aus Ihrer Sicht wichtig, wenn man nach dem Jurastudium in den Beruf startet?

GB Ich würde unbedingt eine Gelegenheit suchen, zeitweise ins Ausland zu gehen und eine Distanz, einen Eindruck von Deutschland von außen zu bekommen oder eine Zeit, in der man ohne Druck eine Zusatzqualifikation erwirbt – ein Praktikum zum Beispiel. Später im Beruf sollte man immer den Mut haben, etwas zu ändern, wenn man merkt, dass man irgendwo falsch gelandet ist. Man sollte sich, wenn man kann, durchaus Zeit nehmen, etwas auszuprobieren. Keine Angst davor, mal zu scheitern!

Sie starten immer wieder was Neues, Herr Baum: Sie haben eine Stiftung gegründet, schreiben Bücher, übernehmen neue Ämter bis ins hohe Alter. Wie schaffen Sie das?

GB Neugierig bleiben, die Zeitläufe verfolgen, Stellung beziehen, Diskussionen nicht ausweichen. Tätig bleiben, wie es der alte Goethe gemacht hat.

Was war der bedeutendste Neustart in Ihrem Leben?

GB Als ich mein Ministeramt verlor und aus der Politik ausgeschieden bin, habe ich meinen Anwaltsberuf intensiviert und war oft als Opferanwalt tätig. Die Opfer der Loveparade, des Ramstein-Unglücks oder des Olympia-Attentats zu vertreten, war natürlich auch Politik.

CG Bei mir gingen Einschnitte oft mit Umzügen einher. Das erfordert jedes Mal eine Neuorientierung, weil so eine Großstadt wie Köln oder ein Land wie Mosambik nicht auf einen wartet. Meine Frau hat heute gesagt, wenn man woanders hinfliegt oder hingeht, dann ist es wie in ein Bild zu springen. Die ganze Umgebung ist anders. Ein Ortswechsel ist also immer auch eine Chance, zu erkunden, zu lernen und zu wachsen.

Herzlichen Dank Ihnen beiden für das Gespräch! 

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