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KölnAlumnus Martin Zingsheim im Interview des Universitätsmagazins

"Ich besitze Vieles, aber kein Arbeitszimmer."


Der Kabarettist Martin Zingsheim bekommt seine kreativen Ideen zwischen tobenden Kindern und Steuererklärung – zur Not auch mal abends im Bett. Kein Wunder, dass seine Bühnenprogramme wie aus dem Leben gegriffen wirken. Im KölnAlumni-Interview erzählt er, warum das Radio sein liebstes Medium ist und warum er Facebook nur widerwillig nutzt.
 

Herr Zingsheim, sie sind eigentlich promovierter Musikwissenschaftler. Wollten Sie schon während Ihres Studiums Kabarettist werden?

Ich hätte mir auch gut vorstellen können, an der Uni zu bleiben. Ich habe mich hier sowohl menschlich als auch fachlich sehr wohl gefühlt. Ich hatte lange die Hoffnung, halb Kabarettist und halb Wissenschaftler sein zu können. Aber ich habe dann schnell gemerkt: Wenn man etwas richtig machen will, bleibt wenig Zeit für Anderes. Also hat am Ende doch die Bühne gesiegt. Ich bin aber natürlich nach wie vor Musiker. Einmal im Jahr trete ich mit dem WDRFunkhausorchester auf, nach dem Motto "Comedy trifft sinfonische Musik". Und im Jubiläumsjahr durfte ich ja das Universitätskonzert in der Philharmonie moderieren. Das sind immer schöne Anlässe bei denen ich merke: Studium und die Promotion waren vielleicht doch nicht überflüssig.

Ob das Studium sinnvoll ist, fragen sich wohl viele unserer Studierenden. Was würden Sie ihnen mit auf den Weg geben?

Der erste Ratschlag ist, nicht zu sehr auf Ratschläge zu hören. Das habe ich auch nicht gemacht. Ich erinnere mich noch, bei der Einführungsveranstaltung zu meinem Studienfach Musikwissenschaft kam die Frage: "Was kann man denn damit werden?" Da sagte der Dozent: "Wenn Sie abbrechen, werden Sie Musikjournalist. Wenn Sie den Abschluss machen, dann können Sie vielleicht in einem Verlag arbeiten und Urtextausgaben herausgeben." Da haben 200 junge Menschen erst mal geguckt und sich gewundert. Heutzutage hat der Leistungs- und Zeitdruck enorm zugenommen. Ich bin gefühlt der letzte Magister dieser Uni und kenne noch ein etwas freiheitlicheres und entspannteres Studieren. Das Wichtigste ist sicherlich, interessengeleitet zu leben; bei allen Zwängen und Verpflichtungen auf das eigene Bauchgefühl hören, auch wenn das heißt, noch zum vierten Mal den Studiengang zu wechseln. Es gibt nicht den einen, richtigen Studienverlauf.

Ihre Bühnenprogramme sind oft politisch. Was kam zuerst – das Kabarett oder das politische Engagement?

Ich bin eher über den Umweg Bühne politisiert worden. Zu Schul- und Studienzeiten war ich eher der kunstmusikalische "Nerd" und gar nicht so sehr im politischen Zeitgeschehen verhaftet. Aber beim Kabarett stellt man sich unweigerlich die Frage: Was beschäftigt mich, was emotionalisiert mich, was regt mich auf? Witze entstehen ja oft aus empfundenen Ungerechtigkeiten oder aus einem gewissen Problembewusstsein. Insofern bin ich durch die Bühnenarbeit ein politischerer Mensch geworden. Und durch meine vier Kinder. Man nimmt den Zustand des Planeten und die ganze Ungerechtigkeit viel ungefilterter wahr, wenn man erst mal so kleine schutzbedürftige Wesen am Frühstückstisch sitzen hat.

Auf der Bühne erzählen sie oft von Alltagsbeobachtungen. Laufen Sie überall mit einem Notizbuch herum und haben immer die Antennen ausgestreckt?

Ja, das ist auch das Furchtbare für das eigene soziale Umfeld. Ich sage dauernd mitten im Gespräch: "Halt, stopp, ich muss mal kurz was ins Handy sprechen." Ich bin da recht geistesblitzorientiert. Ich habe keine festen Bürozeiten nach dem Motto: Die noch ausstehenden Gags zum Thema XY müssen am Dienstag zwischen 8.30 und 11.40 Uhr geschrieben werden. Der Nachteil ist, dass man unter Umständen auch abends noch im Bett liegt und grübelt und eigentlich immer arbeiten könnte.

Work-Life-Balance scheint ja bei Ihnen nicht so gut zu funktionieren.

Sicherlich nicht im klassischen Sinne. Ich kann aber sehr gut bei Krach arbeiten. Ich besitze bis heute Vieles, aber kein Arbeitszimmer. Vielleicht merkt man meinen etwas assoziativ-wilden Programmen auch an, dass ich sie mitunter schreibe, während um mich herum die Kinder toben. Wir haben einen Raum, wo alles stattfindet: Klavierspielen, Texte schreiben und Steuererklärung machen – und mittendrin der Nachwuchs. Ich neige nicht dazu, mich mönchsgleich zurückzuziehen um zu schreiben.

Entwickeln Sie gerade ein neues Programm?

Ich sammle eigentlich immer Ideen; ich habe immer ein überquellendes Word-Dokument. Aber die nächste Premiere habe ich erst wieder 2021. Insofern habe ich jetzt ein bisschen Zeit. Ich überlege aber schon, was es für ein Programm werden soll und glaube, dass es tatsächlich das bisher politischste wird. Es wird sich wahrscheinlich um das Thema Zukunftsängste – aber auch Zukunftsfreude – drehen. Das ist ein Thema, bei dem ich mich sehr inkompetent fühle und eine Chance, mich mal schlau zu machen.

Sie haben ein enormes Pensum an Auftritten im Jahr. Wie hält man das neben der Familie auf Dauer durch?

Das ist ein Dilemma des Berufs: einerseits würde ich gerne jeden Tag auftreten, weil es so viel Freude macht, andererseits möchte ich eigentlich nie von zuhause abreisen, weil ich gerne jeden Abend etwas vorlesen würde. Aber eigentlich sind es auch mehr die Rahmenbedingungen, die schlauchen – das viele Auto- und Bahnfahren, im Hotel ein- und auschecken. Die zwei Stunden auf der Bühne sind eigentlich der Ferienanteil. Da bekommt man alles hundertfach zurück – oder auch nicht, wenn’s mal schlecht läuft.

Sie haben schon einige Kleinkunst- und Kabarettpreise gewonnen. Gibt es da einen, der Ihnen besonders viel bedeutet?

Ja, der Salzburger Stier, der mir komischerweise in Paderborn verliehen wurde. Das ist ein Radiopreis. An der Stelle bin ich ziemlich retro: Ich lebe seit Jahrzehnten ohne Fernseher, bin aber ein absoluter Radio-Junkie. Daher war das eine ganz besondere Auszeichnung. Tatsächlich bin ich auch als Künstler dem Medium Radio am allermeisten verbunden. Beim Fernsehen gibt es im Soundcheck Anweisungen wie: "Jetzt 3 Minuten 30 Sekunden ohne Publikumsreaktion." Das ist sicherlich eine schöne Sportart, aber das Radio ist doch deutlich entspannter.

Wenn man Ihre Website besucht, erfährt man als erstes, dass Sie weder bei Facebook noch bei Twitter sind. Warum?

Tatsächlich ist das eine halbe Lüge. Ich bin natürlich erzwungenermaßen doch da, aber nur, damit ich keinen Ärger mit Veranstaltern bekomme. Die sagen sonst: "Wie sollen wir denn die Show verkaufen, wenn Herr Zingsheim nicht bei Facebook ist?" Ich denke dann immer: "So wie in den letzten 5.000 Jahren Kleinkunst auch." Für mich privat nutze ich es allerdings nicht. Ich habe in meinem Leben noch nie ein privates, geschweige denn ein Familienfoto dort hinterlassen. Eine jüngere Freundin hat mich übrigens kürzlich gefragt: "Was, du bist noch bei Facebook. Alle Jungen sind da schon wieder weg. Da sind nur noch die Alten." Insofern ist es vielleicht doch das Richtige für mich, denn die Älteren sind ja in Wahrheit genau meine Zielgruppe!

Das Interview führte Eva Schissler.